Ein Blick zurück auf die Monate März und April 2020. Die Corona-Pandemie bestimmt alle Lebensbereiche und der Lockdown bringt einen Großteil des öffentlichen Lebens zum Erliegen. Doch was bedeutet das eigentlich für die gesundheitliche Versorgung der Kinder in Deutschland? Das zeigt nun eine aktuelle und repräsentative Sonderanalyse der DAK-Gesundheit, die die Universität Bielefeld erstellt hat.
Die Zahlen sprechen für sich. Im Vergleich zum Vorjahr fiel fast jede zweite Operation von Kindern und Jugendlichen aus. Insgesamt gingen die Krankenhausfälle um 41 Prozent zurück. Gründe für die Corona-Delle waren verschobene Behandlungen durch die Krankenhäuser, aber auch die Angst der Eltern vor Ansteckung, so dass Klinikbesuche verschoben wurden. Besonders starke Rückgänge gab es bei Krankenhausaufenthalten aufgrund von Infektionen, Verletzungen, Asthma und bestimmten psychischen Erkrankungen.
Kindermediziner sind besorgt
Zwar haben sich etwa acht Wochen nach dem ersten Lockdown die Zahlen normalisiert und auf das Niveau des Vorjahres eingependelt, doch Kindermediziner sehen langfristige Folgen für die Gesundheit der Kinder. „Im Frühjahrs-Lockdown wurden in den Krankenhäusern viele nicht dringende stationäre und ambulante Behandlungen drastisch oder vollständig eingestellt. Aus Angst vor Ansteckung wurden aber auch viele notwendige Untersuchungen nicht oder sehr spät durch die Eltern und Sorgeberechtigten veranlasst“, sagt Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann, Direktor des Universitätsklinikums für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Bielefeld. „Dies hatte zur Folge, dass wir vermehrt schwere und komplizierte Verläufe bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes melllitus oder auch bösartigen Neuerkrankungen erleben mussten.“
Experten bereiten vor allem die Rückgänge der Behandlungszahlen bei Asthma (minus 47 Prozent) und bestimmten psychischen beziehungsweise sozialen Störungen (minus 35 Prozent) Sorgen. „Die dramatischen Behandlungsrückgänge bei ernsten Erkrankungen wie Asthma und psychischen Erkrankungen sind beunruhigend“, sagt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. „Wir müssen verstärkt untersuchen, welche Auswirkungen die Pandemie und die erheblichen Einschränkungen auf die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen haben.“
„Die Corona-Delle bei den Kinder-Operationen und -Behandlungszahlen ist ein deutliches Warnsignal. Unser Gesundheitssystem muss Eltern und Kindern die Sicherheit geben, damit sie sich vertrauensvoll versorgen lassen können. Es darf nicht sein, dass notwendige Behandlungen aus Angst vor Ansteckungen verschoben werden. In der aktuellen Corona-Diskussion spielt die Kinder- und Jugendgesundheit eine zu geringe Rolle. Das müssen wir ändern, um langfristige Folgeschäden zu vermeiden.“
Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit
Deutlich weniger Infektionskrankheiten
Bei den Kindern und Jugendlichen, die während des ersten Lockdowns stationär versorgt wurden, ging vor allem die Zahl der Infektionskrankheiten zurück. Gründe dafür können die Kontaktbeschränkungen für Kinder und Jugendliche sein, da es weniger Möglichkeiten einer Ansteckung gab. So wurden beispielsweise 64 Prozent weniger Fälle mit virusbedingten Darminfektionen behandelt. Bei Mittelohr- und Kehlkopfentzündungen betrug der Rückgang jeweils 44 Prozent. Auch Verletzungen wie Bänderverletzungen (minus 40 Prozent) und Gelenkschädigungen (minus 34 Prozent) gingen deutlich zurück. Bei ernsthaften Diagnosen wie Krebserkrankungen gab es keinen Rückgang.
Im Rahmen der DAK-Sonderanalyse untersuchte die Universität Bielefeld die anonymisierten Krankenhausdaten von mehr als 750.000 Kindern und Jugendlichen im Alter von null bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind.
Stefan Suhr