Wenn die Arbeit ein Leben auf der Überholspur bedeutet, reift bei vielen der Wunsch, die Notbremse zu ziehen: Raus aus dem Job und eine Weile etwas anderes tun. Hier erfahren Sie, warum ein Sabbatical Arbeitnehmern und Arbeitgebern vielfältige Chancen bietet.
Ein letzter Blick noch auf den aufgeräumten Schreibtisch. Den Rechner runterfahren. Rein in den Mantel, die Tasche geschnappt, Bürotür abschließen und – nein, der Schlüssel gleitet nicht in die Manteltasche. Er wird heute am Empfang abgegeben. Das, genau das ist der Traum vieler Deutscher. Sie wollen endlich einmal den Alltagstrott hinter sich lassen. Raus aus dem Job, rein ins Abenteuer. Und wenn schon nicht Abenteuer, dann zumindest doch in ein temporäres Leben ohne Arbeit – mit der Option, die erwerbsfreie Zeit für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu nutzen. Das schließt nicht aus, sogar zu arbeiten, aber nicht zum Gelderwerb, sondern aus Berufung.
Für die Zäsur auf Zeit gibt es viele Gründe. Die Räder des Lebens und der Arbeit drehen sich immer schneller. Stress, Druck, Konkurrenzdenken, aber auch Unterforderung im Job, das Fehlen neuer Herausforderungen lässt Sehnsucht aufkommen. Nach einer Zeit, die nur den eigenen Regeln folgt. Nach Strukturen, die individuell aufgestellt werden – oder eben gar nicht.
Mut zur Veränderung
Zu denjenigen, die den Schritt in eine ungewohnte Freiheit gewagt haben, gehört auch Jenny Holzer*. Die 48-Jährige war Art Director bei einem renommierten Magazin-Verlag. Der Aufbau eines neuen Titels, zehn- bis zwölfstündige Arbeitstage, Terminstress – noch dazu mit einer verbissen und bissig agierenden Chefin – hatten sie über die letzten Jahre müde gemacht. Privatleben, eigene Interessen? Fehlanzeige. Alles fiel dem Job zum Opfer. Leere breitete sich aus. Das Gefühl, im Hamsterrad nur noch dem „Last Exit“ hinterherzurennen und ihn – völlig atemlos – dann doch zu verpassen und stattdessen vom Schwung des Antriebs wild purzelnd durch die Luft zu fliegen.
Die Lösung: ein Sabbatical
Die Hamburgerin wollte den Kopf endlich wieder frei bekommen, die Tretmühle hinter sich lassen, sie wollte sich Raum zurückerobern. Lebensraum. In einem Sabbatjahr, das wie es Theologieprofessor Jürgen Ebach einmal formulierte, den Sinn hat: „Nicht das Letzte herauszuholen – aus den Ressourcen der Erde nicht, aus dem Kapital nicht, aus der Arbeitskraft der anderen nicht und aus der eigenen auch nicht.“ Wie im uralten Wochenrhythmus, bei dem nach sechs Arbeitstagen als freier Tag der Sabbat folgt, steht schon in der Tora: Auf sechs Jahre Ackerbau soll ein Jahr der Ruhepause für das Land folgen (Ursprung für den Begriff Sabbatical).
Auch Prominente gehen diesen Weg
Eine Einsicht, der auch Fernsehmoderator Jörg Pilawa 2010 Rechnung trug. Er nahm seine Kinder aus der Schule und begab sich mit seiner Familie auf eine monatelange Reise. „Nachdem ich 20 Jahre lang fast täglich nur mit Medien zu tun hatte, waren Auszeit und Abstand einfach wichtig, um den Blick wieder zurechtzurücken. Dazu kommt man sonst ja nicht“, sagte er im Interview bei Radio Köln.
Einen gesetzlichen Anspruch gibt es nicht
Die Grundlage für diese Form eines Arbeitszeitmodells ist das Teilzeit und Befristungsgesetz (TzBfG) aus dem Jahr 2001. In diesem sind die Voraussetzungen für die berufliche Auszeit geregelt, zu der unter anderem eine Betriebsgröße von mehr als 15 Mitarbeitern und eine Mindestbeschäftigungsdauer von sechs Monaten gehört. Was allerdings nicht bedeutet, dass damit der Weg grundsätzlich frei wäre für ein Sabbatical: Denn einen gesetzlichen Anspruch darauf gibt es nicht.
Work-Life-Balance
Unternehmen, die Top-Kräfte gewinnen und halten wollen, wissen jedoch längst, dass die Vereinbarkeit von Leben und Arbeit unverzichtbar ist. Nicht nur, weil Erwerbstätige heute länger in ihrem Beruf arbeiten, ehe sie in den Ruhestand gehen.
In Führungsetagen wird der Weg in den zeitlich befristeten Ausstieg aber eher selten eingeschlagen. Karriereknicks, ein Imageschaden wird befürchtet, weil man als nicht belastbar gelten könnte oder gar als nicht genügend engagiert. Diese Befürchtungen nimmt einem niemand ab. Sicher, ein wenig Courage gehört dazu, sein Leben auf den Kopf zu stellen und für drei bis neun Monate aus dem Job-Karussell auszusteigen.
Aufbrechen und loslassen
Manchmal braucht es einen persönlich schwerwiegenden Anlass, um loslassen zu können. Dann wieder brennt die Sehnsucht nach neuen Perspektiven, dem Ausprobieren und Ausloten der eigenen Grenzen oder auch deren Überschreitung so stark im Herzen, dass nur ein Weg bleibt: Loszugehen, um bei sich selbst anzukommen. So wie es Jenny Holzer getan hat. Knapp vor dem Burnout hat sie die Notbremse gezogen und ist aus ihrem Job als Kreativchefin eines Print-Magazins ausgestiegen. Neun Monate hat sie die Welt bereist. Neue Menschen getroffen, neue Erfahrungen gesammelt. Sie hat gelernt, wie viel in einen Rucksack passt, und wie wenig Dinge ein Mensch braucht. Nach ihrer Rückkehr war ihr klar: Als Art Director will sie nie wieder arbeiten. Diesen Job hat sie inzwischen aufgegeben und sich beruflich neu orientiert. Ein Neuanfang nach einer ganz bewussten Auszeit.
*Name von der Redaktion geändert
Sabbatical – gewusst wie
Arbeitszeitkonten
ermöglichen das Sabbatical: Dabei werden angesammelte Überstunden oder Urlaubstage in der arbeitsfreien Zeit ausgezahlt.
Gehaltssplitting
Dabei verzichtet man vorher auf einen Teil seines Gehalts und erhält dies während der Auszeit. Bei beiden Formen bleibt der Arbeitnehmer über die Firma versichert. Wer unbezahlten Urlaub nimmt, muss sich komplett selbst versichern.
Der Ausstieg
mit Rückkehrgarantie sollte sorgfältig geplant werden. Sinnvoll ist auch, mit der Firma einen Vertrag zu schließen, der den Anspruch auf den alten Arbeitsplatz garantiert. Der Arbeitgeber profitiert von der befristeten Auszeit, weil sein Mitarbeiter mit neuer Energie und Motivation zurückkehrt, über neue Kontakte verfügt oder sich weitergebildet hat. Das Gewähren eines Time-out stärkt die Firmenbindung.
Elternzeit
Auch Teile oder die gesamten zwölf Monate können für ein Sabbatjahr genutzt werden – wenn der Arbeitgeber zustimmt.