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Früh übt sich: Wieviel Sport ist gut für mein Kind?

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Welche Risiken und welche Vorteile bietet früher Leistungssport? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen, wann Leistungssport der kindlichen Entwicklung schadet, wann er Entwicklungschancen bietet und was Eltern wissen sollten.

Die Sporttasche steht neben der Schultasche gepackt: Wenn nicht bereits vor dem Unterricht ein erstes kurzes Training ansteht, so ist die Zeit nach Schulschluss nicht für Freunde und Hausaufgaben reserviert, sondern für intensives Training. Viele Kinder, die in den Leistungssport wechseln, absolvieren täglich ein straffes Programm. In Sportarten wie Kunstturnen oder rhythmischer Sportgymnastik liegt der Einstieg in den Sport bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren und das Training wird immer intensiver. Der zeitliche Umfang erreicht in Talent-Schmieden schnell 20 Wochenstunden, um bei Wettkämpfen auf dem Treppchen oben zu stehen.

Traum oder Albtraum? Das Bild der Eislaufmutter an der Hallenbande drängt sich auf, die ihren Nachwuchs anspornt. Sportpädagoginnen, Orthopäden und Psychologinnen erforschen seit Jahren, ob Leistungssport in der frühen Kindheit eher Nachteile oder Vorteile bringt. Die Ergebnisse legen nahe, dass es zwar einige Chancen gibt, gleichwohl aber auch Risiken, die Eltern kennen sollten.

Der emeritierte Hamburger Sportpädagoge Alfred Richartz und Kollegen haben beispielsweise schon vor Jahren in einer Veröffentlichung davor gewarnt, dass der Wettkampfbetrieb für junge Athletinnen und Athleten stets in eine prägende Phase der körperlichen und geistigen Entwicklung fällt.

So wirkt Leistungssport auf die Psyche

Wer viele Stunden trainiert, wie etwa junge Geräteturnerinnern, kleine Wasserspringer oder der Tennisnachwuchs, der erlebt täglich viel Disziplin und straffe Organisation. Psychologinnen und Psychologen beobachteten bei Leistungssport treibenden Kindern, dass diese sich in den Bereichen Selbstdisziplin und Selbstständigkeit im Vergleich zu Alterskolleginnen und Alterskollegen positiv entwickeln. Zudem bietet der Sport Gelegenheit, früh Selbstbewusstsein aufzubauen. Kinder lernen, Niederlagen zu verarbeiten und erwerben Durchhaltevermögen sowie die Fähigkeit, sich trotz Unlust zu motivieren. Fertigkeiten, die fraglos im Leben wichtig sind. Nicht selten werden durch Teamsport oder Reisen zu Wettkämpfen auch soziale und kommunikative Kompetenzen erlernt.

Die Kehrseite frühen Leistungssports: Der Nachwuchs erlebt chronischen Stress. Nachwuchsathletinnen und Nachwuchsathleten stehen unter hohem Leistungsdruck und wachsen in eine Erwachsenenwelt der Konkurrenz, für die sie mit sechs Jahren nicht die Reife und Stabilität besitzen. Sportpädagoginnen und Sportpädagogen mahnen, dass Kinder zuweilen nicht mit ihren perfektionistischen Ansprüchen umgehen können und durch ambitionierte Eltern gedrillt würden. Hinzukommt Mehrfachbelastung durch die Schule, sodass zeitliche Überlastung und Isolation von Freundinnen und Freunden die Lage zuspitzen. Schlimmstenfalls kann ein Burnout oder eine Depression folgen. „Staleness“, also Verbrauchtheit, nennen Expertinnen und Experten es, wenn Nachwuchssportlerinnen und Nachwuchssportler ausgelaugt sind.

So wirkt Leistungssport auf den Körper

„Gerade der kindliche Körper benötigt Ruhepausen, um zu regenerieren“, betont der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Andernfalls können degenerative Spätfolgen wie Arthrose lauern. In Sportarten wie Geräteturnen oder rhythmischer Sportgymnastik, in denen es auf extreme Magerkeit und Ästhetik ankommt, sind junge Sportlerinnen und Sportler neben dem beanspruchenden Training oft rigider Gewichtskontrolle und Kommentaren der Trainerinnen und Trainer ausgesetzt, sodass Mädchen zuweilen Essstörungen entwickeln und Wachstumsverzögerungen erleiden: Die Pubertät kann bis zu zwei Jahre verzögert eintreten und sogar der Zyklus ausbleiben. Im schlimmsten Fall erscheint es dem Erwachsenen rückblickend wie eine verlorene Kindheit – weil Wochenenden mit Wettkämpfen blockiert waren und Kontakte zu Freundinnen und Freunden fehlten.

Kindergelenke und Sehnen werden im Leistungsbereich oftmals früh zu stark belastet oder die Wirbelsäule leidet. Es droht Verletzungsgefahr bis zu Überlastungsschäden. Wenn es nach Ingo Froböse geht, kommt es weniger auf perfekte Miniathletinnen und Miniathleten zum frühesten Zeitpunkt an, sondern darauf, dass der kindliche Körper ausreichend Zeit erhält, seine Bewegungsfertigkeiten in der von der Biologie vorgesehen Reihenfolge zu erwerben. Die kindliche Reifung erfolge in zeitlichen Fenstern, so Froböse. Vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr entwickeln sich etwa die Gehirnstrukturen, anschließend geht es bis zum Alter von neun oder zehn um den Erwerb grundlegender Motorik.

Erst in der Phase um das neunte bis zwölfte Lebensjahr lernt das Kind nach Froböse die Konzepte Wettkampfgeist, Sieg oder Niederlage kennen, bildet Respekt, Vernunft und Fairness aus. Wenn diese Entwicklungsfenster durch Übertreibung nicht normal ablaufen können, schadet das. Sportwissenschaftler Froböse sähe es lieber, wenn Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren viele Sportarten ausprobieren dürften, bevor sie sich auf einen Leistungssport festlegten. Drei- bis viermal Sport die Woche reichen demnach zu Beginn völlig.

Was können Eltern tun?  

Sollte man dem eigenen Nachwuchs, der sein Talent entdeckt und Ehrgeiz für eine Profikarriere zeigt, den Wunsch also ausreden? Nicht unbedingt. Wichtig ist es, die Kinder auf dem Weg in den Leistungssport aufmerksam zu beobachten und zu prüfen, ob das Kind Spaß am Training zeigt. Eltern sollten auf gesunde Ernährung achten, denn intensiver Sport belastet den wachsenden Körper – und keinesfalls den Einsatz von Schmerzmitteln als normal betrachten. Äußert das Kind Beschwerden, sollten Eltern zuhören. Vor allem aber der Trainierende ist einen Blick wert. Er oder sie muss heute gut ausgebildet sein, denn er ist nicht nur für sportliche Ausbildung verantwortlich, sondern auch Psychologin, Elternteil und Pädagoge.

Mit richtiger elterlicher und professioneller Begleitung, die auf kindliche Ressourcen achtgibt, kann der zeitige Weg in moderaten Leistungssport dem Körper guttun, etwa in den Bereichen Kraft, Ausdauer, Herz-Kreislaufsystem und der Vermeidung von Übergewicht helfen. Welche Faktoren die positive Wirkung begünstigen, ist erforscht: Kinder mit Rückhalt im Elternhaus, einem schon gefestigten Selbstbild und einer unterstützenden Beziehung zur Trainerin oder zum Trainer sind gewappnet, Stress und Beanspruchung durch Leistungssport abzufedern. Der ideale Zeitpunkt, um zu beginnen, hängt von der kindlichen Reife sowie der Sportart ab, für die das Kind Begeisterung zeigt. Zu guter Letzt aber: Es braucht einen „Plan B“, wenn aus dem Traum doch keine Profikarriere werden sollte. Im Zweifel zählen gute Noten mehr als die Grazie am Schwebebalken.

Dr. Stefanie Maeck