Viele Betriebe kämpfen während der Corona-Pandemie um ihr wirtschaftliches Überleben. Das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) sollte dadurch nicht in den Hintergrund rücken. Gerade jetzt kommt es darauf an, die Leistungsfähigkeit aller Mitarbeitenden zu erhalten.
Die Tatsache, dass sehr viel mehr Beschäftigte als vorher im Homeoffice arbeiten, geht mit zahlreichen neuen Belastungen für die Gesundheit einher: mehr unregelmäßige und ungesunde Ernährung, weniger Bewegung, psychische Probleme durch neue Strukturen, soziale Isolation und Angst vor dem Arbeitsplatzverlust – um nur einige Punkte zu nennen. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber krisengerechte Arbeitsschutzstandards vorgeschrieben, die den Rahmen für Betriebliches Gesundheitsmanagement vorgeben. Wie können Arbeitgeber trotz der besonderen Umstände für mehr Mitarbeitergesundheit aktiv werden?
Dr. Stefan Webendörfer, Vice President Corporate Health Management (BASF)
Sascha Bembennek, Leiter Fitness und Prävention (BASF)
So funktioniert digitales BGM
Die Lösung liegt in der noch stärkeren Konzentration auf digitale Angebote. Diese können den Ausfall von Präsenzveranstaltungen wie Workshops, Seminaren und Gesundheitstagen zumindest zum Teil kompensieren.
Viele Unternehmen zeigen, dass BGM im virtuellen Raum gut funktionieren kann. Unter ihnen ist einer der größten Arbeitgeber Deutschlands: die BASF mit Sitz in Ludwigshafen. Im Zuge von Corona hat man die diesjährige internationale Gesundheitskampagne inhaltlich angepasst und unter das Motto „Schützen Sie sich und andere!“ gestellt. Ein großer Teil der Informationen und Angebote wurde komplett ins Digitale verlagert. „Angepasst an die aktuellen Vorgaben stellen wir hier umfassende Informationen und Hygienetipps für unsere Mitarbeitenden zur Verfügung“, erklärt Dr. Stefan Webendörfer, Vice President Corporate Health Management. Da sich sehr viele der rund 40.000 BASF-Beschäftigten am Standort Ludwigshafen im Homeoffice befinden, werden digitale Angebote kontinuierlich weiter beziehungsweise neu entwickelt. „Wir haben die Klaviatur der Präventionsangebote an die aktuelle Situation angepasst. Sie reichen von Bewegungs- und Dehnungsübungen über ernährungswissenschaftliche Angebote bis hin zu Entspannungstechniken wie Yoga. Auch zeigen wir online, wie zum Beispiel ein Homeoffice-Platz ergonomisch eingerichtet werden kann“, sagt Sascha Bembennek (Leiter Fitness und Prävention), der verantwortlich für die BASF-Gesundheitsangebote ist Bei psychischen Krisen können betroffene Beschäftigte zwei Psychiaterinnen telefonisch kontaktieren. Die Sozial- und Lebensberatung der BASF-Stiftung bietet ebenfalls psychologische Beratung an – auch zu Themen wie Schulden oder Pflege von Angehörigen. „Arbeitsmedizinische Untersuchungen haben wir auf ein Minimum heruntergefahren und machen vieles telefonisch und teilweise telemedizinisch“, so Dr. Webendörfer.
Neue Konzepte
Auch an der Technischen Universität Dortmund geht man konstruktiv mit der Situation um. Neue Konzepte sind gefragt, wenn rund 6.500 Beschäftigte aus Verwaltung und Wissenschaft im Homeoffice arbeiten müssen. „Normalerweise bieten wir für Teams einen wöchentlichen Pausenexpress an, wo ein Trainer für 15 Minuten Bewegung an den Arbeitsplatz bringt. Den führen wir derzeit erfolgreich per Online-Meeting durch“, erklärt Personalentwicklerin Lara Parker, die das BGM koordiniert. In nun digitalem Format gibt es auch die Kurse für das Zirkeltraining, das Beschäftigte sonst wöchentlich im Campus-Fitnessstudio machen können. Zudem wurden alle fürs weitere Jahr geplanten BGM-Seminare, etwa zu Themen wie Stressmanagement und Ernährungscoaching, auf digitale Umsetzbarkeit geprüft und wenn möglich ins virtuelle Angebot aufgenommen.
Virtuelles Führen in der Krise
Die Corona-Pandemie fordert Führungskräfte in besonderem Maße: Sie müssen Ruhe bewahren, äußerst empathisch sein, den Mitarbeitenden Orientierung geben – und das in einer Situation, die für sie selbst völlig neu und unsicher ist. Gesundheitsorientierte Führung ist da mehr denn je angebracht. Sie soll Fragen klären wie etwa: Wie passe ich als Führungskraft selbst auf mich auf? Wie gehe ich mit Frust um? Was muss ich bei meinen Beschäftigten beachten, um Frühwarnzeichen einer Überlastung zu entdecken? Die Förderung der seelischen Widerstandsfähigkeit in Form von Resilienz-Trainings, so wie sie die DAK-Gesundheit anbietet (siehe dak.de/bgm), kann in dieser Situation sehr hilfreich sein. Ebenso Trainings, die sich mit den speziellen Bedingungen von virtuellem Führen befassen, denn ein Großteil der Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden läuft derzeit über diesen Kanal. Sascha Bembennek kann dabei von guten Erfahrungen berichten: „Die Teamstrukturen waren schon vor Corona gut bei BASF, und das ist ein großer Resilienzfaktor. Ich beobachte in virtuellen Meetings derzeit, dass die Beschäftigten noch genauer gegenseitig auf sich aufpassen. Man achtet zum Beispiel schon bei der Begrüßung stärker darauf, wie die Stimmung bei einer Person ist.“
Lara Parker, TU Dortmund
Neue Arbeitsschutzstandards
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat ein umfassendes Konzept mit zusätzlichen betrieblichen Maßnahmen zum Infektionsschutz entwickelt. Aufgeführt sind hier technische Maßnahmen (z. B. Arbeitsplatzgestaltung), organisatorische (z. B. Arbeitszeit- und Pausengestaltung) und personenbezogene Maßnahmen. Je nach weiterem Situationsverlauf wird dieser Arbeitsschutzstandard aktualisiert. Infos unter: bmas.de
Was haben Sie in puncto BGM aus dieser Krise gelernt oder lernen es gerade?
Mir hat die aktuelle Situation nochmals bewiesen, dass Flexibilität, auch in Sachen Arbeitsorganisation, für uns eine Selbstverständlichkeit sein muss. Es darf keine Rolle spielen, wo jemand seine Aufgaben erledigt, sondern nur, wie und bis wann sie erledigt sein sollten. Im Umgang miteinander haben wir wahrscheinlich alle unser Bewusstsein für Hygiene und den Umgang mit Dritten geschärft und viel Wissen über die Ausbreitung von Bakterien und Viren dazugewonnen.
Dr. Thomas Neubourg, von neubourg skin care GmbH, einem familiengeführten Kosmetik- und Medizinprodukte-Hersteller mit circa 50 Beschäftigten in Greven
Aus der Krise lernen
Jede Krise bringt Veränderungen mit sich, aus denen Menschen lernen können – auch beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement. In vielen Firmen zeigt sich derzeit, dass die neuen Arbeitsstrukturen dank digitaler Tools erstaunlich gut funktionieren. Dass der Teamzusammenhalt stärker wird. Oder dass sich Prozesse häufig schneller verändern lassen als vermutet. „Ich habe für mich gelernt, noch bedarfsorientierter zu handeln. Oft ist BGM eine breite Angebotspalette, um möglichst viele Personen zu erreichen. In dieser besonderen Zeit kristallisiert sich heraus, was jetzt wirklich konkrete Bedürfnisse sind. Auch weil Beschäftigte sie nun stärker einfordern“, sagt Lara Parker von der TU Dortmund.
Dr. Stefan Webendörfer beobachtet in vielen Gesprächen mit BASF-Beschäftigten: „Die Leute wollen den persönlichen Kontakt stärker denn je. Es ist zwar gut, dass man in dieser Situation auch viele virtuelle Gesundheitsangebote machen kann. Sie haben häufig aber auch eine andere Qualität. Gemeinsam in einer Gruppe zu laufen ist zum Beispiel etwas wesentlich anderes als einzeln zu joggen und sich später dann in einer virtuellen Laufgruppe darüber auszutauschen.“ Er vermutet daher, dass die Nachfrage nach „normalen“ BGM-Angeboten vor Ort hoch sein wird, falls Lockerungen dies in Zukunft zulassen sollten. Insgesamt ist sich Dr. Webendörfer sehr sicher: „Ein gut funktionierendes BGM wird auch diese Hürde meistern.“
Thomas Corrinth
Fotos: BASF, nsc, TU
Die Interviews wurden Ende April und Anfang Mai 2020 geführt.
Digitale BGM-Angebote
Webinar
FÜHREN IN KRISENSITUATIONEN
Aufgrund der aktuellen Situation stehen Führungskräfte vor der Herausforderung, einen klaren Kopf und Ruhe zu bewahren, um gemeinsam mit Ihrem Team diese turbulente Zeit zu meistern. Das Webinar gibt Tipps zur Begleitung und Motivation von Beschäftigten. Es werden praxisnahe Strategien und Handlungsempfehlungen zur Führung in Krisenzeiten erarbeitet. Des Weiteren erfahren die Teilnehmer, wie Sie in Krisenzeiten auf Ihre Gesundheit und auf die Ihrer Beschäftigten achten.
KOMMUNIKATION IM VIRTUELLEN RAUM
Arbeiten in digitalen Arbeitsräumen – damit entstehen veränderte kommunikative Anforderungen im Arbeitsalltag, im Austausch mit den Beschäftigten sowie mit externen Unternehmenspartnern. Die Teilnehmer erfahren unter anderem, wie sich erfolgreiche Kommunikation über Distanz organisieren lässt. Ferner wird erarbeitet, welche Regeln helfen, die digitale Zusammenarbeit über die Distanz effizient zu gestalten. Darüber hinaus bekommen gibt das Webinar einen Überblick über die wichtigsten digitalen Werkzeuge, die das Arbeiten aus der Ferne erleichtern.