Sandra R.* schläft seit vielen Wochen schlecht. Sie ist müde, trotzdem liegt sie nachts wach. Es ist einfach alles zu viel – dieses Gefühl begleitet sie, seitdem die Schulen geschlossen sind. Ihre zwei Kinder fordern sie sehr. Beide lernen nicht eigenständig, oft sitzen Sandra R. oder ihr Mann mit ihnen stundenlang gemeinsam am großen Küchentisch. Sie helfen meist beiden gleichzeitig. Ihr großer Sohn Arthur ist mit zwölf Jahren oft gereizt, zeigt wenig Motivation. Ihre zehnjährige Tochter Marla verzweifelt an ihrer Mathe-Aufgabe. Jetzt klingelt das Telefon: Ihr Chef wünscht die Überarbeitung einer wichtigen Akte. Marla schreit. Ihr Mann kommt aus dem Schlafzimmer, das heute sein Homeoffice-Ort ist, und schimpft, dass er mehr Ruhe brauche. Das denkt Sandra R. auch. Sie schließt die Augen und atmet einmal tief durch.
So wie Sandra R. geht es vielen Müttern und Vätern in Zeiten von Corona und Homeschooling. Das zeigt unsere bundesweite Befragung „Homeschooling in Corona-Zeiten“. Die repräsentative Erhebung ist die erste Studie zur Auswirkung des schulischen Lockdowns und wurde vom Forsa-Institut durchgeführt.**
Die zentralen Ergebnisse: Die aktuellen Schulschließungen durch die Corona-Pandemie sorgen in Familien für verstärkten Druck. Etwa 90 Prozent der Eltern sind wegen der Auswirkungen der Krise besorgt. Fast jedes zweite Elternteil ist oft oder sehr oft gestresst. In jeder vierten Familie gibt es Streit. Insgesamt sind die Mütter mehr belastet als die Väter. Vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler leiden unter dem ausschließlichen Lernen zu Hause. Nach der Umfrage befürwortet mit 81 Prozent eine große Mehrheit der befragten Eltern eine schrittweise Wiedereröffnung der Schulen. Bei den Kindern sind es 62 Prozent.
Die Studie „Homeschooling in Corona-Zeiten“ im Überblick
„Mütter, Väter und Kinder brauchen angemessene Hilfen und Unterstützung“
„Unsere Studie zeigt sehr hohe Belastungen der Eltern. Bei der wichtigen Diskussion um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise müssen wir auch bei der Bildung das Wohl und die Gesundheit der Familien im Blick haben. Mütter, Väter und Kinder brauchen angemessene Hilfen und Unterstützung. Wir müssen jetzt die Zeit nutzen, um die Möglichkeiten des Homeschooling zu verbessern. Der Kontakt zwischen Schule und Elternhaus muss gestärkt werden.“
Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit
„Die Studienergebnisse überraschen uns“
„Die Studienergebnisse überraschen uns, da die corona-bedingten Schulschließungen den Kindern und Jugendlichen einen eher entschleunigten Alltag beschert haben. Sport-, Musik- und andere Veranstaltungen mit festen Terminen fanden nicht statt. Durch den Lockdown müssten Stressquellen, die die Schüler sonst haben, minimiert sein. Es ist erstaunlich, dass trotzdem relativ viele Kinder von körperlichen Beschwerden berichten."
Professor Dr. Reiner Hanewinkel vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel. Das IFT-Nord untersucht mit dem DAK-Präventionsradar seit vier Jahren in jährlichem Abstand die Kinder- und Jugendgesundheit in deutschen Klassenzimmern.
„Man kann nicht einfach folgenlos die Schule ins Wohnzimmer holen“
„Häufiger Streit in den Familien macht uns Pädiater hellhörig. Wir sind stark auf das Kindeswohl fokussiert und erleben in unseren Praxen täglich, wie sehr gerade jüngere Kinder unter innerfamiliären Streitigkeiten leiden. Die Studie der DAK-Gesundheit ist in der aktuellen politischen Diskussion sehr hilfreich. Man kann nicht einfach folgenlos die Schule ins Wohnzimmer holen.“
Präsident Dr. Thomas Fischbach vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.
Professor Dr. Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel, gibt im „ÄrzteTag“-Podcast der ÄrzteZeitung eine ausführliche Einschätzung der Studienergebnisse.
Stefan Suhr
*Name von der Redaktion geändert
** Für die aktuelle DAK-Studie wurden im Mai 1.005 Erwachsene und jeweils ein zugehöriges Kind im Alter von zehn bis 17 Jahren befragt.