Gesunde Eltern haben gesunde Kinder. So lautet das zentrale Ergebnis des Kinder- und Jugendreports der DAK-Gesundheit. Wir haben mit dem Berliner Kinderarzt Jakob Maske über seine täglichen Beobachtungen in der Praxis gesprochen.
Jakob Maske führt eine Praxis für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin-Schöneberg und engagiert sich im Vorstand des Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte.
Was ist für Sie die auffälligste Entwicklung der vergangenen Jahre?
Mir fällt am meisten auf, dass der Medienkonsum stark zugenommen hat. Wir sehen immer mehr und immer jüngere Kinder, die mit Medien übermäßigen Kontakt haben. Kinder, die häufig am Smartphone sitzen oder häufig Computer spielen, und das mehrere Stunden am Tag. Es gibt auch immer mehr Abhängigkeiten – mit allen Symptomen außer dem körperlichen Verfall.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
40 Prozent unserer Arbeit dreht sich um die akute Versorgung von Kindern, knapp 50 Prozent um die Prävention und etwa 10 Prozent um die Versorgung von Kindern mit schweren chronischen Erkrankungen. Was den übertriebenen Medienkonsum angeht, versuchen wir viel Prävention durch Aufklärung zu leisten. Gelingt uns das nicht, wird der süchtige Jugendliche irgendwann an die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen.

Was freut und was ärgert Sie?
Aktuell ärgern mich Gesetzesvorhaben wie das Terminservice- und Versorgungsgesetz, die an der Realität vorbeigehen. Und mich freuen natürlich die kleinen Erfolge, die wir haben, und die tägliche Arbeit mit den Kindern.
Sind Kinder noch so sportlich und beweglich wie früher?
Wir sehen da einen deutlichen Rückgang. Es gibt leider immer mehr Kinder und Jugendliche, die von Armut bedroht sind. Sie werden immer weniger zu Sportvereinen angemeldet und machen immer weniger Sport, auch weil die Eltern mit der Organisation überlastet sind. Leider nehmen deshalb auch Folgeerkrankungen wie etwa Adipositas zu.
Laut dem Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit sind Kinder von Eltern ohne Ausbildungsabschluss im Alter zwischen fünf und neun Jahren bis zu 2,5-mal häufiger von Fettleibigkeit betroffen wie Kinder von Akademikern. Deckt sich das mit ihren Beobachtungen?
Auf jeden Fall. Es ist auch sehr verständlich, dass das so ist. Zuckrige Getränke werden viel zu billig angeboten. Sie erhalten 1,5 Liter Eistee für 0,69 Euro. Das kann sich jeder leisten und die Kinder sind damit leicht zufrieden zu stellen, aber es ist natürlich letztendlich Gift. Menschen mit einer guten Schulbildung kann man so etwas besser erklären und gegensteuern, während jemand mit einer schlechten Schulbildung das Problem unter Umständen gar nicht erfasst. Wir sehen wirklich häufig, dass Kinder mit weniger gebildeten Eltern tatsächlich dicker sind. Obwohl wir auch hier frühzeitig intervenieren. Wir schauen uns bei den Vorsorgeuntersuchungen die Gewichts-Perzentilen mit den Eltern an und reden mit ihnen darüber – aber häufig ohne bleibenden Erfolg. Das hat natürlich auch mit der Vorbildfunktion zu tun, also damit, wie sich die Eltern selber ernähren.

Haben Sie Kinder von Eltern mit Suchterkrankungen in Behandlung? Was beobachten Sie an ihnen?
Für diese Kinder besteht eine größere Gefahr, selbst psychisch zu erkranken. Wir erleben aber auch, dass sie durch den öffentlichen Gesundheitsdienst oft sehr gut begleitet werden, wobei die Qualität der Betreuung mehr und mehr unter der Überlastung der Betreuenden leidet.
Wie gehen Sie mit Impf-Verweigerern um?
Da gibt es zum Glück nur ganz wenige. Aber ich sehe in meiner Praxis viele verunsicherte Eltern, die wir mit einer vernünftigen Beratung dazu bringen können, ihre Kinder impfen zu lassen. Die vollständigen Verweigerer, die nur zwei bis vier Prozent ausmachen, bekommen wir auch mit der besten Beratung nicht überzeugt.
Inwieweit leisten Sie in Ihrer Arbeit auch Erziehungsberatung?
Eigentlich ist das nicht unsere Aufgabe, aber wir kommen nicht darum herum, Erziehungsberatung zu leisten – und zwar täglich. Wir haben zum Beispiel viele Hinweise von Kita-Verantwortlichen, dass bei Kindern womöglich eine Aufmerksamkeits- oder Entwicklungsstörung vorliege. Wir versuchen dann mit den Eltern zusammen herauszufinden, was die Ursachen sein könnten. Und häufig ist es so, dass diese Kinder viel vor dem Fernseher sitzen, dass die Eltern sich wenig mit ihnen beschäftigen, dass es Gewalterfahrungen gibt. Wir beraten die Eltern dann natürlich, was sie tun können. Eine Möglichkeit ist es, die Kinder in das Alltagsleben einzubinden, sie den Tisch decken zu lassen, sie einmal eine Gurke schälen und in Scheiben schneiden zu lassen. Ganz einfache Dinge des Alltags. Dafür braucht man eine Handlungsplanung, eine Auge-Hand-Koordination und so weiter. Wir versuchen, die Eltern so anzuleiten, dass sie alles, was auch ein Ergotherapeut machen würde, täglich zu Hause mit den Kindern üben können.

Bei den chronisch psychischen Krankheiten spielen vor allem ADHS und Schulangst/Schulphobie eine Rolle. Erleben Sie das auch in Ihrer Praxis? Können Sie diesen Kindern gut helfen?
Das Schulvermeidungsverhalten oder auch die Schulphobie sind tatsächlich etwas, das zuzunehmen scheint, das uns täglich beschäftigt und wo wir eng mit den Kinder- und Jugendpsychiatern zusammenarbeiten. Da liegt natürlich oft auch eine Verbindung zum Thema Mediensucht vor. Es gibt eine sehr gute Chance, diese Störung zu heilen, man muss allerdings frühzeitig intervenieren.
Was halten Sie von der Einführung einer Nährwertampel auf Lebensmitteln?
Unser Berufsverband fordert schon lange, dass Lebensmittel ordentlich gekennzeichnet werden, sodass man sofort sieht, ob es sich um ein gesundes Nahrungsmittel handelt. Eistee suggeriert ja zum Beispiel, er sei ein Tee und gesund. Mit einer entsprechenden Kennzeichnung könnte man sofort sehen, dass viel zu viel Zucker drin ist. Gleichzeitig fordern wir ja eine Zuckersteuer, damit diese Getränke nicht mehr so billig angeboten werden können, beziehungsweise damit Druck auf die Industrie ausgeübt wird, den Zucker zu reduzieren.
Was würden Sie sich allgemein von Eltern wünschen?
Dass sie einen liebevollen, gesunden Blick auf ihre Kinder haben und dass Gewalt nicht Teil ihrer Erziehungsmethoden ist.
Was können Kitas und Schulen für die Gesundheit von Kindern tun?
Erzieher haben leider meist so viel zu tun, dass sie das individuelle Kind gar nicht mehr wirklich sehen können. Deshalb braucht es mehr Erzieher, damit auch die Kitas sich um die Gesundheit kümmern können.

Muss die Politik etwas tun, um die Gesundheit von Kindern zu verbessern?
Wir erleben leider immer, dass die Lobby der Industrie stärker ist als die Vernunft, zum Beispiel, als es um das Thema Rauchen in Autos mit Kindern ging. Da hat die Ministerin gesagt, wir können doch nicht den Eltern solche Vorschriften machen. Aber: Wir können ihnen ja zum Beispiel sehr wohl vorschreiben, die Kinder anzuschnallen. Wo ist denn da der Unterschied? Ähnlich ist es beim Zucker.
Welches Patienten-Schicksal hat Sie in letzter Zeit besonders bewegt?
Ich habe einen kleinen Krebspatienten, der sehr jung erkrankt ist und viele Komplikationen mitgemacht hat. Das ist natürlich ein Schicksal, das einen berührt.
Interview: Anne Reis