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„Betroffene stoßen auf wenig Akzeptanz“

Viele Menschen leiden auch noch Monate nach ihrer Infektion mit dem Coronavirus an Symptomen wie Atembeschwerden, Erschöpfung (Fatigue) oder Gedächtnisstörungen.

Wie Betroffene damit umgehen können, erklärt Dr. Claudia Ellert, Fachärztin für Allgemein- und Gefäßchirurgie. Nach einer COVID-19-Erkrankung im November 2020 ist sie selbst von Post-COVID betroffen und engagiert sich in der Betroffeneninitiative „Long COVID Deutschland“.

Dr. Claudia Ellert
Fachärztin für Allgemein- und Gefäßchirurgie

Frau Dr. Ellert, wie geht es Ihnen heute?

Nach einer langen Wiedereingliederung arbeite ich inzwischen zu 80 Prozent. Doch ich kann nicht mehr alles wie früher machen. Zum Beispiel kann ich nicht mehr operieren und übernehme deswegen keine Dienste mehr. Ich gebe Sprechstunden und arbeite ansonsten viel administrativ, führe also viele Tätigkeiten aus, bei denen ich allein am Rechner sitze, da mich viel Interaktion noch überfordert. So bin ich aber zumindest im Berufsleben zurück. Was meine körperliche Leistungsfähigkeit angeht, komme ich seit zwei Jahren nicht über Spaziergänge hinaus.

Inwiefern helfen Ihre Erfahrungen im Umgang mit anderen Betroffenen?

Wenn man es nicht selbst erlebt hat, ist es tatsächlich schwer zu verstehen. Ich bin seit über 20 Jahren als Ärztin tätig, habe aber, wie so viele meiner Kolleginnen und Kollegen, weder in der Ausbildung noch im klinischen Alltag Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild sammeln können. Für uns alle, Betroffene wie Ärztinnen und Therapeuten, ist es daher oft schwierig zu verstehen, was betroffene Menschen erleben und beschreiben.

Long COVID oder Post-COVID?

Als Long COVID werden Symptome bezeichnet, die nach einer akuten Infektion oder Erkrankung auch nach mehr als vier Wochen noch nicht abgeklungen sind. Vom Post-COVID-Syndrom (PCS) wird gesprochen, wenn die Beschwerden auch mehr als zwölf Wochen nach der Infektion oder Erkrankung weiterhin bestehen oder neu auftreten, mindestens zwei Monate anhalten und anderweitig nicht erklärbar sind.

Was können Anzeichen für eine Long-COVID-Erkrankung sein?

Es gibt Auswertungen aus der Datenspende App des RKI, die zeigen, dass Menschen nach einer COVID-19-Erkrankung über einen relativ langen Zeitraum erhöhte Herzfrequenzen aufweisen – sowohl in Ruhe als auch in Belastung. Das ist ein deutliches Anzeichen, dass der Köper immer noch mit der Krankheitsbewältigung beschäftigt ist. In dieser vulnerablen Phase, in den ersten sechs bis acht Wochen nach der Erkrankung, ist es wichtig, sich nicht direkt zu überlasten, sondern häufiger in sich hineinzuhören, was möglich ist. Dabei sollte einem bewusst sein, dass Beschwerden nicht unbedingt im Moment der Belastung müssen, sondern oftmals auch erst mit Verzögerung von mehreren Stunden bis einigen Tagen auftreten können. Wobei körperliche wie auch kognitive (geistige) oder mentale Anstrengungen Auslöser für Beschwerden sein können. Wer also am Wochenende etwas unternimmt, bekommt vielleicht erst am Dienstag oder Mittwoch ein Krankheitsgefühl, Gelenkschmerzen oder auch Kopfweh, so dass dies häufig nur schwer miteinander in Verbindung gebracht wird. Dieses Phänomen bezeichnen wir als Belastungsintoleranz. Diese ist durch das Unvermögen unseres Körpers gekennzeichnet, auf Belastungen angemessen zu reagieren und sie in gewohnter Weise zu verarbeiten.

Was sind typische Post-COVID-Symptome?

Post-COVID ist zunächst ein großer Sammelbegriff für alle Folgeerscheinungen, die nach einer SARS-CoV-2-Infektion anhaltend bestehen bleiben. Studien zeigen, dass es sogenannte Symptomcluster gibt. So gibt es eine Patientengruppe, die vorwiegend mit verschiedenen Atembeschwerden zu tun hat. Bei einer anderen ist hauptsächlich der Geruchs- und Geschmackssinn beeinträchtigt. Und eine dritte Gruppe leidet vor allem unter der postviralen Fatigue, also einer übermäßigen Erschöpfbarkeit und Belastungsintoleranz, die oftmals mit kognitiven Einschränkungen verknüpft ist, zum Beispiel Problemen die Aufmerksamkeit zu halten, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen sowie Vergesslichkeit. Gerade diese kognitiven Beeinträchtigungen machen es besonders schwer, wieder ins Arbeitsleben zurückzukommen. Natürlich kann es auch Überschneidungen dieser Cluster geben.

Inwiefern ist Bewegung nach einer COVID-Erkrankung zu empfehlen?

Grundsätzlich ist es immer wichtig, Bewegung aufrechtzuerhalten. Ein genereller Bewegungsverzicht ist nicht ratsam. Doch die Bewegung sollte aus der Symptomfreiheit erfolgen und auch keine Symptome auslösen. Empfehlenswert ist ein langsames Rantasten nach einem ganz einfachen Prinzip: Gestartet wird mit niedrigen und kurzen Belastungen, dann wird die Dauer der Belastung, danach die Häufigkeit pro Woche und erst dann die Intensität gesteigert.

Wie können Betroffene mit Post-COVID-Symptomen umgehen?

Momentan stehen uns leider noch keine ursachenbezogenen Therapien zur Verfügung. Deswegen geht es für Betroffene darum, eine regelmäßige Ansprechperson zu finden. Das kann zunächst die Hausärztin oder der Hausarzt sein, die oder der mit sogenannten symptomatischen Therapien hilft, Beschwerden zu lindern. Es geht aber auch um Hilfen hinsichtlich der Teilhabe im Beruf oder des Zugangs zu Leistungen unserer Sozialsysteme. Selbsthilfegruppen können für diese Fragen eine gute Möglichkeit zum Austausch mit anderen Betroffenen sein und Hilfestellungen ermöglichen.

Alle Betroffenen sind gefordert, einen Weg zu finden, mit den Einschränkungen zurecht zu kommen. Das ist, je nach Schwere der Symptome, nicht einfach.

Wir sprechen hier von Pacing. Das ist keine Therapie im eigentlichen Sinne. Es ist eine Möglichkeit für Betroffene, mit der Erkrankung so beschwerdearm wie möglich zu leben. Pacing bedeutet, zu erkennen, wo die eigene Leistungsfähigkeit liegt, welche Energiereserven zur Verfügung stehen. Diese individuell sehr unterschiedliche Reserve muss geschickt über den Tag verteilt eingesetzt werden, ohne Überforderungen zu provozieren. So wird es für Betroffene möglich, Beschwerden in Schach zu halten und zu verhindern, dass immer wieder Beschwerden der Erkrankung ausgelöst werden.

Pacing zu erlernen ist daher ein monatelanger Prozess, der aus Negativerfahrungen besteht, aus denen die eigenen Grenzen definiert werden müssen. Irgendwann lernen wir, was wir uns zumuten können ohne, dass es uns hinterher schlecht geht. Das ist in einer Gesellschaft, die auf Leistung getrimmt ist, schwer zu vermitteln und umzusetzen. Gerade im beruflichen Umfeld stoßen die Menschen oft auf wenig Akzeptanz. Eigentlich müssen sich Betroffene permanent abgrenzen und ihrem Umfeld vermitteln, was sie können bzw. nicht können.

Wie die Rückkehr ins Leben gelingen kann, beschreibe ich auch ausführlich in meinem Buch „Long COVID. Wege zu neuer Stärke“. Denn in unserer an Leistung orientierten Gesellschaft stoßen Betroffene oft auf wenig Akzeptanz.

Was ist besonders wichtig im Hinblick auf die Genesung?

Viel zu häufig sehen wir, dass sich Betroffene aufgrund existenzieller Zwänge durch den Arbeitsalltag quälen. Doch sofort wieder arbeiten zu gehen, egal wie es einem geht, ist bei diesem Krankheitsbild kontraproduktiv. Long COVID setzt die eigene Intuition außer Kraft. Weil die Verschlechterung erst später einsetzt, überschätzt man sich leicht und geht immer wieder über die eigenen Grenzen. Ein guter Rat ist deshalb, nach einer COVID-19-Erkrankung langsam zu machen. Das möchte zwar kaum jemand hören, aber um langfristig wieder voll einsatzfähig zu sein, ist das die beste Methode.

An wen können sich Betroffene wenden?

Eine Anlaufstelle bilden zurzeit die Post-COVID-Ambulanzen. Je nachdem an welche Fachabteilung diese angebunden sind, werden unterschiedliche Schwerpunkte bei der Behandlung gesetzt. Eine andere Möglichkeit sind Betroffenenvereine wie „Long COVID Deutschland“, ein ehrenamtlich organisierter Zusammenschluss von betroffenen Privatpersonen. Hier finden sie Informationen und Hilfestellungen, außerdem gibt es eine geschlossene Facebookgruppe, in der sich inzwischen 9.000 Menschen austauschen. Gerade dieser Austausch und die Vernetzung kann für Betroffene sehr hilfreich sein. Eine gute Übersicht über Selbsthilfegruppen in Präsenz gibt es unter nakos.de.

Wie können Arbeitgebende bei der Rückkehr in den Arbeitsalltag unterstützen?

Prinzipiell gilt für Long-COVID-Betroffene, dass feste Pläne und starre Modelle zum Scheitern verurteilt sind. Das gilt beispielsweise für das Hamburger Modell, bei dem die Belastungssteigerung klassischerweise innerhalb von sechs Wochen bis zu einem Umfang von 100 Prozent erfolgt. Die Menschen haben ja keine Krankheit, die wieder vorbei ist, sondern eine anhaltende Behinderung und Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit. Manche Tätigkeiten werden besser und manche schlechter funktionieren, das zeigt sich aber erst nach und nach und ist je nach Einschränkungen ganz individuell. Hilfreich ist, wenn die Arbeitsbedingungen an die Möglichkeiten der Betroffenen angepasst werden können und nicht umgekehrt. Flexible Arbeitsmodelle mit Ruhezeiten und Homeoffice können ebenfalls unterstützen. Hier wird viel Potential nicht genutzt, denn die Menschen wollen ja wieder arbeiten, schaffen es aber einfach nicht in den bestehenden Strukturen und übernehmen sich dann. Da kann nur ein offener Austausch zwischen beiden Seiten helfen.

Unser digitales Angebot für Betroffene

Die Fimo App hilft Erkrankten bei Long-COVID bedingter Fatigue. Mit der App lernen Betroffene Einflussfaktoren besser zu verstehen und diesen entgegenzuwirken. Die Anwendung enthält Tipps, Übungen und einen Medikamententracker sowie die Möglichkeit die eigenen Daten mit dem Behandlungsteam zu teilen. Weitere Infos unter dak.de/fimo  

Hilfe durch die DAK Long COVID-Hotline

Um eine gesicherte Diagnose zu stellen, ist Ihre Hausarztpraxis die richtige Anlaufstelle. Doch auch wir, Ihre Krankenkasse, können Ihnen kompetente Hilfen vermitteln und Sie durch den Dschungel der zahlreichen Beratungsangebote führen. Dafür haben wir eine spezielle Long-COVID-Hotline eingerichtet, über die unsere gut vernetzten Gesundheitsberaterinnen und -berater Sie schnell in die richtigen Hände vermitteln können – ob bei Fachärztinnen und -ärzten, Selbsthilfegruppen oder psychologischen Beratungsangeboten.

Die Hotline steht allen DAK-Versicherten zur Verfügung. Sie haben die Möglichkeit, sich individuelle Beratung einzuholen und gleich auch passende Leistungsangebote prüfen zu lassen.

Sie erreichen uns zu folgenden Zeiten:

Montags bis freitags von 9 bis 14 Uhr.

Rufen Sie an unter:

DAK-Long-COVID-Hotline

040 325 325 922

(Sie zahlen lediglich den Anruf zum Ortstarif.)

Interview: Nina Alpers

 

Foto Dr. Claudia Ellert: © Elias Maria

Buchcover: © ZS Verlag