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Familie & Freizeit

Mental Load – wie man Care-Arbeit fair verteilt

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„Du hättest doch nur fragen müssen“ – in den meisten Partnerschaften läuft es noch immer so: Die Frau kümmert sich darum, dass der Haushalt läuft, der Mann nimmt Aufträge entgegen. Doch es geht auch anders. Im Interview erklärt Bestsellerautorin Patricia Cammarata, was man unter Mental Load versteht und wie Paare es schaffen, aus traditionellen Mustern auszubrechen.

 

 

Patricia Cammarata ist IT-Projektmanagerin, Bloggerin, Autorin – und Mutter von drei Kindern. Als ihr jüngstes Kind in den Kindergarten kommt und sie wieder anfängt zu arbeiten, fühlt sie sich unglaublich erschöpft. Durch den Comic der französischen Zeichnerin Emma wird sie auf den Begriff Mental Load aufmerksam, der die mentale Last der Haus- und Familienarbeit beschreibt. Endlich hatte sie eine Erklärung für ihre Überlastung. Heute hält Patricia Cammarata Vorträge und berät in Workshops Familien zu dem Thema.

Welche Problematik verbirgt sich hinter dem Begriff Mental Load?
Neben den sichtbaren Aufgaben, die im Alltagsleben anfallen, gibt es sehr viele unsichtbare To-dos. Der Begriff Mental Load beschreibt, dass eine Person in der Familie – meist die Frau - die Rolle der Managerin und damit die Verantwortung für alle übernimmt. Die Frau sitzt dann abends auf dem Sofa mit einer unendlichen To-do-Liste im Kopf, die schier unendlich scheint. Aber das sieht eben niemand, die anderen Familienmitglieder sitzen entspannt auf dem Sofa.

Können Sie ein typisches Beispiel aus dem Familienalltag geben?
Der Mann sagt, dass er sich doch um den Wocheneinkauf kümmert. Was aber dahinter steckt, bleibt für ihn unsichtbar: Wann muss eingekauft werden? Was kochen wir nächste Woche? Was haben wir letzte Woche gegessen? Sind genug gesunde Snacks für die Kinder eingeplant? Wer mag was oder auch nicht? Was haben wir noch da? Was muss verbraucht werden? Was fehlt? Er kauft dann auf Anweisung mit der fertigen Einkaufsliste ein.

Die Grundthese ist, dass die Frau verantwortlich und die Managerin der Familie ist. Und zwar auch, wenn beide arbeiten. Woran liegt das?
Das Thema Mental Load hat einen großen gesellschaftlichen und politischen Rahmen. Rollenerwartungen, die reproduziert und von Frauen oft nicht aktiv hinterfragt werden, Ehegattensplitting, dass es keinen gesetzlichen und bezahlten Väterurlaub direkt nach der Geburt gibt – das alles spielt hier mit rein.

Wie erkennt man das Problem Mental Load?
Es ist leider so, dass das vielen erst durch eine Überlastung klar wird. Weil man dann über Ursachen nachdenken muss. Es spielen sehr viele unbewusste Anteile mit rein, sodass es ein Prozess ist, herauszuarbeiten, dass man vom Mental Load überfordert ist. Es ist schwierig, da von allein drauf zu kommen. Ich würde mir wünschen, dass das Thema auf den Lehrplan kommt und zum Allgemeinwissen gehört. Dann könnte man präventiv über genau solche Dinge sprechen und an neuralgischen Punkten im Leben nicht sagen, ‚das wird schon‘, sondern Themen wirklich besprechen. Wenn ein Paar sich zum Beispiel ein Kind wünscht, konkret zu überlegen: Wie soll das aussehen, welche Rahmenbedingungen haben wir, wie soll das mittelfristig sein? Wer arbeitet wie viel, wer hat welche Erwartungen? Damit man nicht in Muster reinschliddert und da nicht mehr ohne Weiteres rauskommt.

Und wenn man schon reingeschliddert ist?
Es gibt zwei Ansatzpunkte. Zuerst kann ich schauen, was ich allein angehen kann. Meine To Do-Liste ansehen und mir überlegen, ob das wirklich alles nötig ist. Oder ob man sich manches einfacher machen kann, ob man Dinge nur macht, weil man glaubt, dass man sie tun muss. Ist die riesige Geburtstagsparty wirklich entscheidend für das Glück meines Kindes? Sich die eigenen Prioritäten klar zu machen, ist der erste Schritt.

Und dann?
Nachdem man das Problem benannt hat, ist der nächste Schritt, das an den Partner oder die Partnerin zu adressieren. Sich gemeinsam hinzusetzen und eine Liste oder Visualisierung zu machen und kleinteilig durchzugehen, was an Aufgaben im Alltag anfällt. Dann wird festgelegt, wer die Aufgabe übernimmt und wer dran denkt. Wichtig ist auch, festzuhalten, wie oft die Tätigkeiten anfallen.

Das klingt nach Arbeit…
Ist es auch. Aber für viele Paare bringt das einen großen Aha-Effekt. Weil man sieht, dass die Männer zwar Dinge übernehmen, aber meist auf Anweisung. Und sich die Aufgaben stark unterscheiden. Frauen machen oft die Dinge, die häufig anfallen und sich wiederholen oder die an strikte Deadlines gebunden sind. Wie die Kinder von der Kita abzuholen zum Beispiel. Wohingegen Männer eher Aufgaben übernehmen, bei denen man zeitlich flexibel ist, und die nicht so oft anfallen. Wie zum Beispiel den Wocheneinkauf erledigen, das Auto zum TÜV bringen oder den Reifendruck prüfen, wenn man in den Urlaub fährt.

 

 

Was gewinnen Paare dadurch?
Die Auflistung hilft in der Regel, im Alltag die Dinge bewusster wahrzunehmen, weil die bisher unsichtbare „Elfenarbeit“ sichtbar wird. Und damit einher geht Wertschätzung, die für die psychische Belastung durch den Mental Load ein wichtiger Faktor ist. Denn wenn gesehen wird, was ich leiste, dann nimmt das Druck weg.

Wie geht es nach der Bestandsaufnahme weiter?
Um in den Modus der neuen Verteilung zu finden hilft es, wöchentlich konkret anstehende Aufgaben zu besprechen und immer mehr dahinzukommen, nicht Einzelaufgaben zu vergeben, sondern eine ganze Prozessverantwortung. Wenn das Kind zum Beispiel zum Geburtstag eingeladen ist, lautet die Aufgabe nicht „Geschenk kaufen“, sondern es zählt alles dazu, das in Zusammenhang mit der Einladung steht. Wie kommt das Kind dahin? Wenn es nach der Schule direkt mitgeht, braucht es eine Abholgenehmigung, bis wann muss die ausgefüllt und abgegeben sein? Was wünscht sich das Geburtstagskind? Wer besorgt wann das Geschenk? Wer holt das Kind wieder ab? Muss ein anderer Termin dafür abgesagt werden…. Auf Dauer hat das den Lerneffekt, dass beide in der Partnerschaft nicht mehr nur die Spitze des Eisbergs sehen, sondern auch das unterhalb der Wasseroberfläche.

Wie schaffen Paare es, dran zu bleiben?
Einmal im Monat ist eine Retrospektive super, bei der man sich mit dem Partner oder der Partnerin zusammensetzt und sich anschaut, was gut gelaufen ist, was man anders machen oder ausprobieren möchte. Wollen wir bewusst Aufgaben rotieren oder Kompetenzen aufbauen? Es braucht auch ein bisschen Disziplin, nicht in das typische ‚ich mache es schnell selbst‘ zu verfallen. Das ist schon ganz schön viel Arbeit.

Das birgt auch das Risiko für Konflikte. Was kann man tun, wenn der Partner oder die Partnerin nicht mitmacht?
Versuchen, nicht in Vorwürfe zu verfallen. Es gibt einen schönen Spruch von Paartherapeut Oscar Herzberg: ‚Aus Überforderung wird Forderung‘ - das finde ich sehr treffend. Einfach versuchen, nicht nur noch zu fordern, weil man so frustriert ist, sondern sich auf Augenhöhe zu begegnen und anzuerkennen, dass der oder die andere seinen Teil beiträgt und in seine Rolle gefallen ist als derjenige, der in der Regel die finanzielle Verantwortung trägt. Wenn man das im Kopf hat, minimiert sich das Konfliktpotential. Denn dann geht es ja darum, eine Lösung zu finden, die für das Paar und die Familie Entlastung bringt und letztendlich glücklicher macht. Denn niemand hat etwas davon, wenn die Partnerin total überlastet und unglücklich ist. Und wenn das gemeinsame Ziel klar ist, lösen sich viele potenzielle Konflikte auf, weil man sich mit Wohlwollen begegnen kann. Und es ist wichtig, dass der Partner oder die Partnerin sich auch gesehen fühlt.

Im Zusammenhang mit der Verteilung der Care-Arbeit kommt häufig das Argument, dass der Mann mehr verdient und deswegen mehr Erwerbsarbeit leistet. Was entgegnen Sie?
Ich halte das für ein kurzfristiges Argument. Wenn man davon ausgeht, dass der Partner bei der Care-Arbeit nur hilft und sich nicht verantwortlich fühlt, wäre der Umkehrschluss, dass die Partnerin nur beim Geldverdienen hilft. Da muss sich das Paar fragen, ob das das Lebensmodell und die Perspektive ist, die sie langfristig haben wollen. Männer lassen sich dadurch auch die Chance nehmen, von ihren Kindern als gleichwertiger Elternteil wahrgenommen zu werden, der trösten oder ins Bett bringen kann. Es braucht aktive Arbeit, immer wieder zu schauen, wer gerade dran ist mit der Karriereförderung und welche Aufteilung passt, sodass beide zufrieden und nicht überlastet sind. Und dabei lohnt es sich, nicht nur auf den reinen Euro zu schauen, sondern auch die 5 und die 10-Jahresperspektive zu sehen.

 

In ihrem Buch „Raus aus der Mental Load-Falle – Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt“ beschreibt Patricia Cammarata konkrete Auswege aus der Mental Load-Falle.

Interview: Janina Fortmann