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Psychische Erkrankungen bei Kindern

So gehen Sie am besten damit um
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Entwicklungsstörungen, Computersucht, ADHS: Nach dem DAK Kinder- und Jugendreport 2018 sind 26 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Auffällig: Entwicklungsstörungen wurden deutlich häufiger im Kindesalter, Verhaltensstörungen deutlich häufiger bei Jugendlichen diagnostiziert. Wir geben einen Überblick.

Entwicklungsstörungen
Die Entwicklungspsychologie spricht allgemein von Entwicklungsstörungen, wenn „ein Kind hinsichtlich seiner motorischen, sprachlichen, geistigen oder sozialen Fertigkeiten deutlich hinter dem Entwicklungsstand von Gleichaltrigen zurückbleibt oder entgegen dem normalen Entwicklungsverlauf bereits erworbene Fertigkeiten wieder verlernt hat.“ Jedes siebte Kind hatte im Jahr 2016 eine Entwicklungsstörung, wobei knapp die Hälfte der Fälle auf Kinder im Alter von fünf Jahren oder jünger entfiel. Entwicklungsstörungen können physische (z. B. Unfallfolgen) oder psychische Ursachen haben.

Sprach- und Sprechstörungen
Als Entwicklungsstörung der Sprache werden Störungen der Sprachentwicklung bezeichnet, die sich auf mannigfaltige Weise äußern können – von Lautbildungsproblemen über Wortfindungsstörungen bis zum Stottern. Stellt man eine Sprach- oder Sprechstörung fest, sollte man sie vor der Einschulung therapieren lassen.

Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
Diese sind dadurch charakterisiert, dass bei einem Kind mit sonst altersgemäßem Entwicklungsniveau Fähigkeiten wie z. B. Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen deutlich unter der Altersnorm liegen. Sie werden auch spezifische Lernstörungen genannt. Im Speziellen sind dies: Lese-/Rechtschreibschwächen (Legasthenie) und Rechenschwächen (Dyskalkulie).

Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen
Kinder mit motorischen Entwicklungsstörungen zeigen ein nicht altersgemäßes Bewegungsverhalten und sind in ihrer motorischen Gesamtentwicklung verlangsamt. Im Kindergarten- oder Grundschulalter wirken sie durch eine ungeschickte Feinmotorik und durch einen unflüssigen Bewegungsablauf bei alltäglichen Aktivitäten häufig ungeschickt und unbeholfen.

Diagnose und Therapie
Bei Verdacht auf eine Entwicklungsstörung sollte so früh wie möglich ein Kinderarzt konsultiert werden, der gegebenenfalls an einen Kinderneurologen oder Kinder- und Jugendpsychiater verweist. Verschiedenste Tests können den Verdacht bestätigen oder ausräumen. Je nach Störung wird der Arzt Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie oder Heilpädagogik oder auch eine Kombination verordnen. Auch die Beratung und Aufklärung der Eltern hinsichtlich der Störung ist wichtig, damit kleine Übungen in den Alltag eingebaut werden können.

Verhaltensstörungen
Unter Verhaltensstörungen versteht man unangemessene Verhaltensmuster, die von der Norm abweichen. Das kann von Nägelkauen über Hyperaktivität bis zu ständigem Lügen, starken Aggressionen oder Selbstverletzungen („Ritzen“) reichen. Bei 105 von 1.000 Kindern und Jugendlichen wurde 2016 eine entsprechende Diagnose gestellt, darunter deutlich mehr Jungen als Mädchen. Zu den häufigsten und am meisten thematisierten Verhaltensstörungen bei Kindern zählt die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Rund 4,1 Prozent aller Kinder und Jugendlichen bekamen 2016 diese Diagnose. Am häufigsten erfolgt die Diagnose mit Eintritt des Schulalters, da die betroffenen Kinder mit der in der Schule erwarteten Disziplin und Ruhe überfordert sind.

Diagnose und Therapie von anderen Verhaltensstörungen
Wer ein auffälliges Verhalten bei seinem Kind bemerkt, sollte nicht zögern, dies beim Kinderarzt anzusprechen. Je früher die Ursachen der Störung erkannt und alternative Wege der Problemlösung und Konfliktbewältigung aufgezeigt werden, desto besser. Teilweise kann der Kinderarzt helfen, teilweise wird er an einen Psychologen oder Psychiater verweisen. Auch eine Familientherapie kann angezeigt sein.

 

Typische Symptome von ADHS

  • Konzentrationsschwäche
  • Leichte Ablenkbarkeit
  • Motorische Unruhe („Zappelphilipp“)
  • Starke Stimmungsschwankungen
  • Übermäßige Empfindlichkeit
  • Impulsivität

Ursachen von ADHS
ADHS ist überwiegend genetisch bedingt, aber auch ungünstige Umwelteinflüsse wie wenig emotionale Zuwendung und hoher Medienkonsum können eine Rolle spielen.

Therapie von ADHS
Wichtig ist vor allem die Schulung von Eltern, Erziehern oder Lehrern für den richtigen Umgang mit dem hyperaktiven Kind. Hinzukommen können eine Verhaltenstherapie und die Gabe von Medikamenten.

 

Tipps von Kinderärztin Dr. Annette Lingenauber
  • Erster Ansprechpartner für Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen ist Ihr Kinderarzt.
  • Verhaltensstörungen und daraus resultierende Erziehungsschwierigkeiten können in jedem Kindesalter auftreten.
  • Kinder sind heute oft einem zunehmenden Druck ausgesetzt. Zeit für freies, fantasievolles Spiel kommt zu kurz. Auch die steigende Verfügbarkeit und Verlockung der elektronischen Medien hat negative Einflüsse auf die Entwicklung und Konzentrationsfähigkeit.
  • Nutzen Sie die Vorsorgeuntersuchungen. Sie bieten Gelegenheit, ausführlich über den Entwicklungsstand und das Verhalten Ihres Kindes zu sprechen.
  • Ihr Kinderarzt wird mit Ihnen klären, ob eine erweiterte Diagnostik, z. B. in einem sozialpädiatrischen Zentrum oder bei einem Kinder-und Jugendpsychiater, notwendig ist.
  • Diese oft aufwändige Diagnostik ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie.
  • Zögern Sie nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn sonst führen Verhaltensstörungen und andere psychiatrische Erkrankungen des Kindesalters auch zu einer großen Belastung der gesamten Familie.

Neurotische Störungen
Mit 52 auf 1.000 Fälle sind neurotische Störungen die dritthäufigste psychische Störung bei Kindern. Darunter fallen unter anderem Angst- und Zwangsstörungen.

Zwangsstörungen betreffen etwa zwei Prozent der Kinder und Jugendlichen. Es sind komplexe Störungsbilder mit vielfältigen Erscheinungsformen. Entscheidend für die Diagnose ist dass …

  • Zwänge als eigene Gedanken oder Impulse für den Patienten erkennbar sein müssen.
  • wenigstens gegenüber einem dieser Zwänge Widerstand geleistet wird.
  • die Zwangssymptome nicht an sich als entspannend erlebt werden.
  • die Zwänge sich in einer unangenehmen Weise wiederholen und die Patienten deutlich beeinträchtigt sind.

Neuere Studien gehen davon aus, dass in Deutschland bis zu zwei Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter Zwangsstörungen leiden. Manche stehen stundenlang unter der Dusche, kontrollieren vor dem Weggehen unzählige Male, ob sie die Haustür verschlossen haben oder ordnen und zählen ständig bestimmte Dinge. Andere haben aggressive Gedanken, gegen die sie sich nicht wehren können, oder sind ständig in Sorge, sich mit Krankheiten anzustecken. Obwohl die Zwangsgedanken und -handlungen von den Betroffenen meist als unsinnig oder quälend erfahren werden, drängen sie sich immer wieder auf. Dabei beeinträchtigen sie den normalen Tageslauf und die sozialen Beziehungen erheblich.

Viele Kinder verheimlichen die Zwangsgedanken und -handlungen vor ihren Eltern, weil sie sich dafür schämen. Hier ist genaues Beobachten und vorsichtiges aber konsequentes Hinterfragen vonnöten. „Warum sind deine Hände so rot?“ „Wie oft hast du heute schon dein Zimmer aufgeräumt?“ Bei dem Verdacht auf eine Zwangsstörung sollte man so schnell wie möglich zum Arzt, um zu verhindern, dass die Krankheit chronisch wird.

Behandlung
Die Behandlung einer Zwangsstörung im Kindes- und Jugendalter verfolgt normalerweise mehrere Ansätze: verhaltenstherapeutische und, bei schweren Symptomen, auch medikamentöse Strategien. Außerdem ist die enge Einbeziehung der Familie unerlässlich – Eltern und Geschwister müssen lernen, auf Zwangshandlungen adäquat zu reagieren, um dem Betroffenen zu helfen, sie zu unterlassen.

Anne Reis