Seit März 2020 stellt das Coronavirus die Arbeitswelt auf den Kopf. Viele Beschäftigte schätzen die Arbeit von zu Hause, andere fühlen sich isoliert und überfordert. Ein Schlüssel zum Umgang mit psychischen Belastungen liegt in einer Stärkung der Resilienz.
”New Work“ – um dieses Konzept des Sozialphilosophen Frithjof Bergmann kommen Personalerinnen und Personaler aktuell kaum mehr herum. Berufstätige sollen sich damit verwirklichen: Unsere Arbeit soll uns Spaß machen, sich mit dem Privaten vereinbaren lassen, mit unseren Interessen und Werten übereinstimmen. In der globalisierten und digitalisierten Arbeitswelt von heute reichen die Bausteine von agilen Arbeitsmethoden über Jobrotation-Konzepte bis hin zu digitalen Formen der Zusammenarbeit. Corona hat die Frage, wie das individuelle New-Work-Konzept für ein Unternehmen aussehen soll, noch einmal befeuert, denn viele Betriebe haben sich zwangsläufig digitaler aufgestellt und mehr Menschen arbeiten derzeit von zu Hause oder unterwegs. „New Work heißt auch, dass man selbst herausfindet, welche Arbeitsweise einem persönlich guttut“, sagt der Psychologe und Journalist René Träder, der auch die DAK-Podcasts moderiert. Er gibt zu bedenken, dass wir sehr unterschiedlich mit Autonomie umgehen: Die eine fühlt sich gestresst, der andere wird dadurch motiviert. „Für Führungskräfte heißt das, ganz individuell zu schauen, welche Arbeitsform für wen geeignet ist – gerade jetzt, wo Homeoffice ein wichtiges Thema ist.“
René Träder, Psychologe und Journalist
Dr. Elisa Clauß, Expertin für Arbeitswissenschaft und Soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Licht und Schatten
Im Homeoffice ermöglicht die verstärkte Nutzung digitaler Tools, dass die meisten Unternehmen ihren Geschäftsbetrieb und die Kommunikation mit ihren Beschäftigten aufrechterhalten können. „Arbeitsprozesse können durch die Digitalisierung nicht nur effizienter gestaltet werden, auch Lebens- und Arbeitszeitmodelle können besser aufeinander abgestimmt werden. Das ermöglicht eine nie dagewesene Flexibilität – und dieses entspricht den Wünschen der Beschäftigten, Unternehmen, Kundinnen und Kunden“, meint dazu Dr. Elisa Clauß, Expertin für Arbeitswissenschaft und Soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit
Weniger Stress, mehr Familienleben, bessere Work-Life-Balance – zu diesem Schluss kommt die DAK-Sonderanalyse zum Gesundheitsreport „Digitalisierung und Homeoffice in der Corona-Krise“. Im Dezember 2019 wurden über 7.000 Erwerbstätige befragt, fast 6.000 davon nahmen bei der zweiten Erhebung im April 2020 teil. Ein wichtiges Ergebnis: Vor der Pandemie empfand nur etwa ein Drittel der Teilnehmenden die zunehmende Digitalisierung bei der eigenen Arbeit als Entlastung, während der Pandemie war es fast die Hälfte – ein Plus von 39 Prozent. Das tägliche Stresserleben ging im gleichen Zeitraum um 29 Prozent zurück. Viele Beschäftigte schätzten auch den Zeitgewinn durch wegfallende Arbeitswege und die freie Zeiteinteilung bei der Arbeit. „Es gilt, die positiven Aspekte des Homeoffice für die Zukunft fruchtbar zu machen, ohne die negativen zu übergehen“, so Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit.
Zunehmende Entgrenzung
Als Nachteil empfanden zum Beispiel drei Viertel der Befragten, dass sie weniger direkten Kontakt zu ihren Kolleginnen und Kollegen hatten. Fast die Hälfte vermisste die Möglichkeit, sich kurzfristig besprechen zu können. Und vor allem die unter 30-Jährigen haben Probleme damit, Berufliches und Privates im Homeoffice klar zu trennen. Eine fehlende Struktur beobachtet Dr. Nadine Müller, Bereichsleiterin Innovation und Gute Arbeit bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, auch bei der Organisation von virtuellen Meetings. „Teilweise sitzen Beschäftigte in zwei digitalen Konferenzen gleichzeitig, was physisch im Normalbetrieb ja auch nicht möglich wäre. Auch die Frage, wie viele Meetings täglich maximal angesetzt werden sollten und wie die Pausen gestaltet werden, ist häufig noch unklar.“ Digitale Tools müssten, so die Expertin, immer unter Beteiligung und Mitbestimmung der Beschäftigten eingeführt werden und ihr Einsatz dürfe nicht überfordern. „Dann können sie Menschen auch sinnvoll unterstützen.“
Auch in der Politik diskutiert man derzeit intensiv: Wie soll das Arbeiten von zu Hause für Unternehmen und Beschäftigte gerecht gestaltet werden? Soll es sogar ein Recht auf Homeoffice geben? „Uns ist bei der Ausgestaltung dieser Fragen vor allem wichtig, dass ein verbindlicher Arbeits- und Gesundheitsschutz gelten muss. Genau wie ein Recht auf Homeoffice müssen Beschäftigte auch ein Recht darauf haben, den betrieblichen Arbeitsplatz zu behalten und jederzeit vom Homeoffice wieder voll zum Regelarbeitsplatz zurückkehren zu können, wenn sie das möchten“, fordert Dr. Nadine Müller. Die Zukunft der Arbeit wird hybrid sein – das resümiert etwa der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes in seiner Homeoffice-Studie 2020. Weiter heißt es dort: „Hier sind Aushandlungsprozesse nötig – mindestens für einzelne Unternehmen, eher sogar für bestimmte Arbeitsbereiche, womöglich sogar individuell. Personalarbeit und Führung werden dadurch ohne Frage kleinteiliger – doch der Aufwand lohnt sich, wenn passende Lösungen gefunden werden, die Gesundheit, Motivation und Mitarbeiter-Commitment steigern.“
Dr. Nadine Müller,
Bereichsleiterin Innovation und Gute Arbeit bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
Psychische Erkrankungen
In dieser rapiden Veränderungsphase lässt sich gleichzeitig ein besorgniserregender Trend feststellen: Laut Psychoreport 2020 der DAK-Gesundheit sind die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen vom Jahr 2000 bis 2019 um 137 Prozent gestiegen – ein neuer Höchststand. Seit März 2020 fordert die Corona-Pandemie das seelische Befinden zusätzlich heraus: „Corona ist ein globaler Schicksalsschlag. Soziale Isolation, Informationsüberflutung und die Angst um die eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer bedrücken viele Menschen. Im Beruflichen kommen etwa finanzielle Probleme durch Kurzarbeit oder die Angst vor Arbeitslosigkeit oder Insolvenz hinzu“, erklärt René Träder.
Das Thema „Zunahme von psychischen Erkrankungen“ ist auch auf politischer Ebene angekommen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn starteten am 5. Oktober 2020 gemeinsam mit einem breiten Bündnis von über fünfzig Institutionen aus dem Bereich der Prävention die „Offensive Psychische Gesundheit“, damit der gesellschaftliche Umgang mit psychischen Belastungen offener wird. „Arbeit darf nicht krank machen. Gerade weil Menschen an ihrem Arbeitsplatz sehr viel Zeit verbringen, muss hier besser auf ihre Gesundheit geachtet werden. Viele Menschen erleben dabei den schmalen Grat zwischen Belastung und Überlastung“, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. (Auf der Internetseite des BMAS finden Sie alle Informationen zur Offensive.)
Resilienz stärken
„Unternehmen sind verpflichtet, Verhältnisse zu schaffen, die die Gesundheit erhalten und Gefährdung verhindern. Hier zeigen Studien, dass sie das bereits vielfach sehr gut schaffen“, sagt Dr. Elisa Clauß. So hat etwa eine Erhebung des Projekts psyGA unter rund 2.000 Beschäftigten ergeben: In der Krise sind diese im Mittel psychisch stabil, zwei Drittel fühlen sich zudem vorbildlich unterstützt und gut informiert durch ihre Arbeitgeberin oder ihren Arbeitgeber. „Es wäre jedoch auch sinnvoll, die Beschäftigten dabei zu unterstützen, dass diese gut für sich sorgen – und das läuft über Aufklärung und Bildung.“ Dazu zählen zum Beispiel das Erlernen von Entspannungstechniken oder etwa Resilienz-Trainings (siehe Info-Kasten unten).
„Resilienz ist das Immunsystem der Psyche – und das kann jeder Mensch selbst aktiv stärken“, sagt René Träder. In seinem Buch „Das Leben so: nein! Ich so: doch! Wie du besser mit Stress, Krisen und Schicksalsschlägen umgehst“ stellt er dafür acht ineinandergreifende Bausteine vor. „Ein ganz wichtiger Baustein in der Corona-Zeit ist zum Beispiel die Verantwortungsübernahme. Also nicht den anderen – der Regierung, dem Unternehmen und so weiter – allein die Verantwortung dafür geben, dass es einem gut geht, sondern auch sich selbst.“ Sich Ziele zu setzen oder sein persönliches Netzwerk zu pflegen sind weitere Bausteine, ebenso wie regelmäßige Erholung, zum Beispiel mit Achtsamkeit. „Das muss nicht zwingend die Meditation sein. Man kann im Alltag zum Beispiel auch achtsam essen oder spazieren gehen. Und zwischendrin einfach mal den Flugmodus im Handy aktivieren – und in Achtsamkeits-Modus umbenennen.“ So könnte ein selbstbestimmtes und gesundes New Work aussehen.
„Die psychische Widerstandskraft
lässt sich trainieren.“
„Regelmäßige Erholung ist wichtig.“
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