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Ernährung & Rezepte

Sinfonie für das Immunsystem

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Ob es das vor dem Rechner verdrückte Brötchen ist oder das Stück Kuchen, das wir „aber bitte mit Sahne“ zelebrieren: Was wir essen und trinken und wie wir dies tun, hat Effekte. Auf den Körper, die Seele – und das Immunsystem. Ein Interview mit DAK-Expertin Silke Willms.

Ernährungsexpertin Silke Willms von der DAK-Gesundheit

Was trägt eher dazu bei, dass unser Körper Krankheitserreger gut abwehren kann, besonders in den Herbst- und Wintermonaten: knackige Rohkost oder ein warmes Gericht?

Eine warme Mahlzeit vermittelt Wärme, das ist in dieser Zeit schon mal positiv. Außerdem kann der Körper Nährstoffe aus gegarten Lebensmitteln einfacher aufnehmen, weil die Zellwände von Porree, Roter Beete, Paprika und Kohl beim Garen geöffnet werden. Obwohl durchs Erhitzen ein Teil der Inhaltsstoffe verlorengeht, werden wir damit noch sehr gut versorgt. Aber: Wer sich mit Salat glücklich fühlt, für den ist Rohes gut.

Hat jemand, der regelmäßig Gemüse der Saison isst, in puncto Abwehrkräfte schon alles richtig gemacht?

Auch wenn es oft verkürzt so dargestellt wird: Es geht nicht bloß darum, für bessere Abwehrkräfte mehr Gemüse, Salat oder Obst zu essen. Unser Immunsystem ist sehr vielfältig aufgebaut. Organsysteme, Botenstoffe, Haut, Schleimhäute, die Flimmerhärchen in Nase und Bronchien, Speichel und natürlich der Darm – all das und mehr gehört dazu. Unser Speichel beispielsweise „erkennt“ bestimmte Krankmacher. Kommen doch mal Keime in den Magen, werden sie von der Magensäure angegriffen. Ein großer Teil unseres Immunsystems sitzt im Darm, darum lohnt es sich, ihn pfleglich zu behandeln.

Das klingt kompliziert. Braucht jedes Organ etwas anderes?

Tatsächlich ist die Lösung verblüffend simpel. Entsprechend der Vielfalt unseres Immunsystems haben alle guten Lebensmittel ihre Berechtigung auf dem Speisezettel: Bohnen, Sauerkraut, Tomaten, Blumen-, Grün-, Weiß-, Rot- und Rosenkohl, Gurken, Möhren, Aprikosen, Äpfel, Birnen, Käse, Joghurt. Und auch Rinderschmorbraten, Schnitzel, Currywurst, Speck, Kartoffeln, Spaghetti Carbonara, Eier, Fischbrötchen, Pfannkuchen, Torte, eine schöne dicke Bohnen- oder Erbsensuppe … je nachdem, was der oder die Einzelne gern mag. Stellen Sie sich das Zusammenwirken von Eiweiß, Fett, Zucker, Vitaminen und Mineralstoffen aus den Lebensmitteln wie ein Sinfonieorchester vor, das ein gewaltiges Musikstück spielt wie Beethovens „Ode an die Freude“ und dabei von Solisten und Chören begleitet wird.

Sagten Sie gerade wirklich Torte …?

Freut sich jemand schon vorher darauf, nachmittags ein Stück Kuchen mit Sahne zu essen und dazu Kaffee oder Tee zu trinken, und der Zuckerkonsum bleibt über den Tag gesehen im Rahmen, ist das doch schön – ich mache das auch gern. Freude ist Wohlfühlen, das entstresst und stärkt auf seine Weise ebenfalls unser Immunsystem.

Wie erkenne ich „gute Lebensmittel“?

Es ist immer vorteilhaft – für das Immunsystem und auch sonst –, möglichst natürlich zu essen, sich nicht von der Industrie abhängig zu machen. Chips und Co. fallen da schon mal raus. Mein Tipp: Zutatenlisten lesen und, wo es irgend geht, Lebensmittel auswählen, die aus höchstens fünf Zutaten bestehen. Dazu wäre es optimal, alles zu kennen, was man mitkauft. Steht auf der Müslipackung „Maltose“ und Sie wissen nicht, was das ist: lieber stehenlassen. Werden auf einem Glas Bohnen unter Zutaten „Bohnen, Wasser, Salz“ aufgeführt oder auf der Sauerkrautpackung „Weißkohl, Salz“, sind natürliche Zutaten enthalten und nur das, was nötig ist.

Ist demnach der Gang zur Imbissbude etwas, das man sich lieber verkneifen sollte, weil man sonst leichter krank wird?

Weder ein Hamburger noch Pommes Rot-Weiß schädigen das Immunsystem, wenn man sie gelegentlich mal isst. Auf dauerndes fett- und kalorienreiches Essen reagiert das Immunsystem allerdings ähnlich wie auf eine bakterielle Infektion, hat ein Forschungsteam der Uni Bonn festgestellt: Eine solche Kost löst massiv Entzündungen aus. Dadurch kann Arteriosklerose und Diabetes mellitus entstehen und das Immunsystem ist geschwächter gegen Infekte.

Frisches Gemüse kaufen, schnippeln, zubereiten – im täglichen Trubel ist das für viele nicht immer realistisch. Gibt es Alternativen, mit denen wir uns und unseren Abwehrkräften etwas Gutes tun?

Tiefgefrorenes Gemüse ohne jeden Schnickschnack kann das Kochen wirklich erleichtern. Blumenkohl oder ein anderes Gemüse gefroren in den Topf geben, etwas Wasser und Gemüsebrühe, einen Schuss Weißwein dazu – wer das darf – oder Apfelsaft und mit Salz und Muskat garen. Daraus kann man alles Mögliche machen. Eine Suppe, Gemüse zu Nudeln mit Tomaten – oder einfach ein paar Röschen aufs Käsebrot. Weiße, rote und schwarze Bohnen oder Linsen oder auch Erbsen aus dem Glas oder aus Dosen gehen auch prima. Was auch Spaß macht: Bohnen mit einer ordentlichen Portion Oliven-, Raps- oder Sonnenblumenöl, Salz, Pfeffer, vielleicht etwas Wasser oder Gemüsebrühe pürieren, das ergibt einen leckeren Dip oder Brotaufstrich.

Trendthemen wie vegetarisches oder veganes Essen oder auch „Functional Food“ von probiotischem Joghurt bis zum Proteinriegel sind gefühlt gerade „in aller Munde“. Bringen sie etwas für unsere Abwehrkräfte?

Nein.

Wie sieht es mit Vitamin D aus? Und: Kann man das essen?

Vitamin D ist wichtig, weil es zum Beispiel die sogenannten Fresszellen unseres Abwehrsystems unterstützt. Es entsteht durch Sonneneinstrahlung in unserer Haut, auch bei bewölktem Himmel. Wir können es aber auch über Lebensmittel zu uns nehmen, fetten Fisch wie Hering, Makrele oder Lachs beispielsweise, Steinpilze, Champignons, Eier oder Leber.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst pro Tag. Was ist überhaupt „eine Portion“? Wie klappt es im Alltag mit der richtigen Mischung?

Eine Portion passt in der Regel in die Hand des Essers oder der Esserin. Es ist richtig: In der Praxis kann diese Empfehlung eine gewisse Herausforderung sein. Wer isst schließlich schon zum Frühstück Grünkohl oder Möhren? Apfel oder Apfelsine geht da eher. Ich empfehle außerdem für jeden Tag eine warme Mahlzeit – wir sprachen schon davon. Die versorgt Sie mit allem, was kleine und große Menschen brauchen. Das können Kartoffeln sein oder zum Beispiel eine schöne Portion „Bauernfrühstück“. Weiße Bohnen in selbst hergestellter Tomatensoße zu Nudeln sind auch sehr gut. Es kann sich auch lohnen, etwas mehr zu kochen als gegessen wird. Dann essen Fans von Herzhaftem morgens Brokkoli oder Möhre auf Brot oder es sind Reste da, aus denen mit einer Mischung aus Ei, Milch, Sahne plus Kartoffeln, Nudeln oder Gemüse ein Auflauf wird.

Welche Rolle spielt es, wann und wie wir essen und trinken?

Wir essen aus vielen Gründen. Weil wir Hunger haben. Weil es etwas zu feiern gibt. Weil wir gestresst sind oder aus Langeweile. Weil es Spaß macht und gerade so gut schmeckt oder jemand anderes etwas isst. Essen und Trinken ist auch dafür da, dass wir zufrieden, froh und dankbar werden. Versuchen Sie, sich jeden Tag etwa dreimal eine Pause zu gönnen, in der Sie etwas essen, sich mit denen unterhalten, die mit am Tisch sitzen, und merken, wie Sie langsam satt werden und einen gewissen Frieden spüren.

Interview: Annemarie Lüning