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Beruf & Bildung

Welt im Wandel

Technologien verändern die Arbeitswelt rapide, sie erfordern neue Strukturen und Formen der Zusammenarbeit – Agilität ist gefragt
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Schneller, immer schneller dreht sich das Rad der neuen Technologien. Schlagwörter wie Digitalisierung, Vernetzung, Automatisierung, künstliche Intelligenz oder auch Globalisierung kennzeichnen den rasanten Wandel, der die Arbeitswelt so stark verändert wie kaum jemals zuvor. Ist es wirklich erst gut zehn Jahre her, dass das iPhone auf den Markt kam?

Starre Abläufe, strenge Hierarchien oder Arbeit nach Plan in den zementierten Grenzen der Abteilungen passen nicht zu der digitalen Ära. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwindet und mit ihr vertraute Gewissheiten über feste Arbeitszeiten und -orte. Dank Smartphones, Laptops und Videokonferenzen ist es zunehmend egal, wo gearbeitet wird. Gefragt sind flexible, dynamische, vernetzte Strukturen, die unmittelbar reagieren auf die Veränderungen. Gefragt ist: Agilität.

Was bedeutet Agilität?
Das Konzept, das ursprünglich aus der Welt der Softwarehersteller stammt und gerne mit Start-ups in Verbindung gebracht wird, ist zum Zauberwort geworden. Es steht für neue Formen der Arbeitsorganisation in Unternehmen, aber auch für neue Denk- und Handlungsmuster. Mit „wendig“, „beweglich“, „gewandt“ oder „flink“ lässt sich der aus dem Englischen stammende Begriff „agile“ übersetzen. Der Ansatz beschreibt die Fähigkeit von Menschen und Organisationen, rasch und effektiv auf Veränderungen zu reagieren, sowohl hinsichtlich der Strukturen als auch mit Blick auf Serviceleistungen und Produkte. Und das permanent, denn die einzige Konstante heißt: Veränderung. Die agile Organisation ist die Organisationsform, die am ehesten in der Lage ist, den digitalen Wandel zu stemmen, so die Autoren des HR-Reports 2018 der Personalberatung Hays und des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE). „Unternehmen müssen sich mit Agilität auseinandersetzen“, sagt Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Ludiwigshafen am Rhein und Direktorin des Instituts.

Mitsprache ist gefragt
Die Zeiten, in denen nur der Chef „top down“ entscheidet und die Mitarbeiter nicht über den eigenen Tellerrand blicken, sind in agilen Organisationen vorbei. Müssen Entscheidungen erst durch mehrere Hierarchie-Ebenen gereicht werden, ist die Reaktionszeit womöglich zu lange. Mehr Tempo lässt sich nur mit flachen und durchlässigen Strukturen und unkomplizierten Prozessen erreichen. Ein Ziel ist also, hierarchische Strukturen abzubauen zugunsten einer schlanken, projektorientierten Arbeitsorganisation mit einer ausgeprägten Kundenorientierung.

Das verändert auch die Rolle der Mitarbeiter. Agiles Arbeiten setzt eine Vertrauenskultur mit einem hohen Maß an Selbstorganisation voraus. Die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter wird gestärkt, sie sind stärker gefordert mitzudenken, sich einzubringen, ihre Verantwortung wächst.

Ein Eckpfeiler des Konzeptes ist die Projektarbeit, sie umfasst kurze, überschaubare Planungs- und Umsetzungszyklen mit konkreten, überprüfbaren Ergebnissen. Für das Team ist nicht länger eine disziplinarische Führungskraft verantwortlich, sondern die klassischen Führungsaufgaben verteilen sich auf mehrere Rollen. Um überzeugende Lösungen zu entwickeln, sind die Teams möglichst heterogen zusammengesetzt, Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen und einem breiten Wissenshorizont suchen gemeinsam nach neuen Wegen. So sollen eingefahrene Denkmuster gesprengt, so soll kreativer und kundennäher gearbeitet werden.

Neue Rolle für den Chef

Dies bedingt ein verändertes Führungsverständnis. Es braucht Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter ermutigen, neue Wege zu gehen, die motivieren, Menschen miteinander verknüpfen, das Finden von Lösungen organisieren. Mal treten sie als Kollege auf, mal als Coach, Mentor oder Moderator. Fehler werden von ihnen nicht verdammt, sondern als Teil eines Lern- und Entwicklungsprozesses anerkannt. Um dies sicherzustellen, sind in agilen Organisationen Dialog und Feedback grundlegend – ebenso wie der Zugang zu allen relevanten Informationen für die Bearbeitung des Projekts.
Agilität ist also weit mehr als die Digitalisierung bestehender Arbeitsweisen, mehr als eine technische Aufrüstung. Mit ihr geht ein Kulturwandel einher, sind neue Denk- und Arbeitsweisen auf allen Ebenen des Unternehmens verbunden. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen ihre Rollen überdenken und anpassen, um innovativ zu sein. Diese agilen Strukturen lohnen sich. Laut einer Studie der Strategieberatung goetzpartners und der NEOMA Business School sind agile Unternehmen im 10-Jahres-Vergleich 2,7 Mal erfolgreicher als ihre nicht-agilen Wettbewerber. Agiles Arbeiten eignet sich nicht für jeden Unternehmensbereich und für jedes Unternehmen. In der Produktion braucht es feste Strukturen, nicht immer passen die Kundenanforderungen zum agilen Denken. Am agilsten ist laut einem Ranking von goetzpartners und der NEOMA Business School die Reise- und Transportbranche, am unflexibelsten sind die Finanzdienstleister.

Der Wandel bringt Stress

Für die Mitarbeiter bedeuten die agilen Methoden Chance und Risiko zugleich. Sie können mehr Sinn und Qualifizierung im lernenden Team, mehr Freiheiten, mehr Gestaltungsmöglichkeiten bringen. Aber eben auch mehr Druck und Tempo, ständige Erreichbarkeit, mehr Verantwortung und ein Aufweichen traditioneller Sicherheiten. Und das Arbeits- und Veränderungstempo ist schon jetzt hoch. Im diesjährigen DAK-Gesundheitsreport „Rätsel Rücken – warum leiden so viele Menschen unter Schmerzen?“ sagen 29 Prozent der 5.224 Befragten, dass sie mehrmals täglich schnell arbeiten, und 35 Prozent, dass sie dies einmal täglich bis mehrmals die Woche tun. Veränderungen können im Menschen Stress, Unsicherheit und Ängste auslösen, das gilt auch für den digitalen Wandel. Dies hat auch Auswirkungen auf die Gesundheit, wie der DAK-Report zeigt. Denn der zunehmende Termin und Leistungsdruck ist ein Faktor bei der Entstehung von Rückenschmerzen.
Nach den Reportergebnissen stehen 23 Prozent der Befragten mehrmals täglich unter Termin- und Leistungsdruck, weitere 34 Prozent mehrmals die Woche. 26 Prozent gaben an, mehrmals pro Woche die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu erreichen, 64 Prozent berichteten davon, länger zu arbeiten als vorgesehen, und 42 Prozent nehmen ihre Pausen nicht. Dennoch zeigte sich die überwiegende Mehrheit, nämlich 62 Prozent, zufrieden mit der Balance zwischen Arbeit und Privatleben.
Möglichkeiten und Gefahren der modernen Arbeitswelt liegen also eng beieinander. Nicht alles wird besser, nur weil man es digitalisiert, aber es wird auch nicht alles schlechter. Es kommt darauf an, genau hinzugucken, Altes wie Neues zu hinterfragen und dann zu entscheiden: Was ist sinnvoll?

Rainer Busch

Alles verändert sich

Es ist nur ein kleiner Schritt von Agilität zu Innovation. Allerdings sind Innovationen stets mit einer gewissen Unsicherheit behaftet: Ist der neue Weg auch der richtige? Neue Ansätze ganz ohne Denkschranken in einem geschützten Raum einfach einmal durchspielen, ist in einem Labor der Hamburg School of Business Administration (HSBA) möglich.

Dr. Uve Samuels, Geschäftsführer der HSBA und Initiator des Digital-Labors (DI-Lab), erklärt im Interview, warum das Ausprobieren von innovativen Ideen wichtig ist.

Interview: Yvonne Scheller