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„Wir müssen nach intelligenten Lösungen suchen“

Die Corona-Pandemie eröffnet Chancen, in der Patientenversorgung neue Wege zu gehen. Sie ist ein guter Zeitpunkt, innovative Lösungen zu testen. Ob digital oder telefonisch: Viele dieser Lösungen könnten auch nach der Pandemie helfen, unsere Gesundheitsversorgung intelligenter zu gestalten. Eine davon: die Möglichkeit einer telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Der gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat jetzt beschlossen, die telefonische Krankschreibung bis zum 31. Mai 2020 zu verlängern. Danach gilt wieder die Regel, dass für eine Krankschreibung ein Besuch in einer Arztpraxis nötig ist. Doch könnte eine telefonische Krankschreibung nicht auch dauerhaft Vorteile bieten? Hierzu hat der Vorsitzende des Vorstands der DAK-Gesundheit Andreas Storm mit der Ärztezeitung gesprochen. 

Herr Storm, noch am Mittwoch hatten sie die Auffassung der DAK-Gesundheit bekräftigt, dass die Sonderregelung zur telefonischen Krankschreibung bei leichten Atemwegsbeschwerden bis Ende des dritten Quartals verlängert werden sollte. Nun ist es anders gekommen. Überrascht sie die einstimmige Entscheidung mit den Stimmen der Ärzte und was sagen sie generell zu der Entscheidung?

Ja, ich bin in der Tat etwas überrascht. Denn eine aktuelle Umfrage der Ärztezeitung hat ja gezeigt, dass in der Ärzteschaft eine starke Tendenz zu einer längerfristigen Ausweitung dieser Übergangsregelung zumindest bis zum Ende der aktiven Corona-Phase oder sogar darüber hinaus besteht. Wir sollten die Corona-Pandemie dafür nutzen, die Art und Weise, wie wir grundsätzlich mit kurzfristigen Krankheiten umgehen, zu überprüfen. Die telefonische AU ist in diesem Kontext ein Beispiel für eine intelligente Lösung. Wenn wir unsere Zahlen hochrechnen, sprechen wir von jährlich etwa 27,8 Millionen Krankschreibungen mit einer Dauer bis zu sieben Tagen. Das entspricht werktäglich 111.000 Arzt-Kontakten. Hinzu kommt, dass wir regional unterschiedlich ausgeprägte wachsende Kapazitätsprobleme im niedergelassenen ärztlichen Bereich beobachten. Und: Wir müssen die potenzielle Ansteckungsgefahr für das Praxispersonal und für andere Patienten immer mit bedenken. Ich wünsche mir, dass die Corona-Pandemie einen Innovationsschub für neue intelligente Lösungen in diesen Fragen gibt.

 

Wenn wir auf die vergangenen Wochen der Pandemie schauen: Gab es zu diesem Zeitpunkt einen merklichen Anstieg an Krankschreibungen wegen leichter Beschwerden der oberen Atemwege?

Hier müssen wir drei Phasen unterscheiden: Die erste Phase beschreibt das Zeitfenster bis zum Beginn der Pandemie-Welle, die sich im deutschen Krankheitsgeschehen signifikant niedergeschlagen hat. Das war etwa bis zur elften Kalenderwoche dieses Jahres. Da verzeichneten wir insgesamt einen deutlichen Rückgang gegenüber dem Vorjahr und auch gegenüber dem Jahr 2018. Dann haben wir über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen einen starken Anstieg erlebt. Dieser Anstieg war natürlich nicht überraschend, weil es eine deutliche Empfehlung gab, dass Patienten schon bei sehr leichten Erkältungssymptomen sofort den Weg der Krankschreibung wählen sollten, um den Kontakt mit Arbeitskollegen zu vermeiden. In der dritten Phase ab der 14. Kalenderwoche ging die Anzahl der AU-Meldungen wieder deutlich zurück. Hinter diesem Rückgang steht sicherlich der Sondereffekt, dass sich viele Patienten aufgrund von Kurzarbeit aktuell nicht krankmelden.

 

Mit der telefonischen Krankschreibung ist auch die Kritik verbunden, dass ein Missbrauchspotenzial vorhanden ist und es nicht so leicht nachprüfbar sei, ob tatsächlich Beschwerden vorhanden sind. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Wir als DAK-Gesundheit und auch ich persönlich nehmen diese Kritik natürlich ernst. Doch wir müssen auch sehen, dass sich sicherlich eine Vielzahl an Faktoren hinter der Frage verbergen können, warum ein Arbeitnehmer sich missbräuchlich krankmeldet. In einer umfangreichen Evaluierungsstudie erörtern wir aktuell dieses Missbrauchspotenzial. In der Hochphase der Corona-Pandemie sehe ich dieses Missbrauchspotenzial aber differenziert, denn es erging ja gerade die Aufforderung an die Bevölkerung, sich selbst bei geringen Erkältungssymptomen krankzumelden. Sehr relevant in diesem Zusammenhang ist aber auch die Frage, inwieweit die Arztpraxen durch eine telefonische AU entlastet werden können. Ebenso wichtig: Inwieweit können potenzielle Ansteckungen in Wartezimmern vermieden werden? Wir müssen die positiven und negativen Aspekte miteinander abwägen und gleichzeitig neue digitale Möglichkeiten, wie die Video-Sprechstunde, in Betracht ziehen, um unsere Gesundheitsversorgung weiter zu verbessern. Wir müssen nach intelligenten Lösungen suchen. Die Corona-Pandemie ist hierfür der perfekte Zeitpunkt.

Hier gibt es das vollständige Interview als Podcast