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Ärzte im Gespräch: Optimierung der Geburtsvorsorge

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Die Geburt eines Kindes ist für Frauen ein hochemotionales Ereignis. Um die Versorgung werdender Mütter zu optimieren und ein schönes Geburtserlebnis zu fördern, gibt es jetzt einen Qualitätsvertrag „Geburtshilfe“, von dem Kundinnen der DAK-Gesundheit profitieren können

Welche Ängste belasten werdende Mütter, wie geht es Frauen während und nach der Entbindung oder was kann getan werden, um auf individuelle Bedürfnisse noch besser einzugehen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Asklepios- und Rhön-Kliniken gemeinsam mit den Krankenkassen, die diesen Qualitätsvertrag geschlossen haben. Waren Kliniken bis jetzt primär Orte, die Schwangere aufsuchen, sobald Wehen einsetzen, sollen sie nun zu einem Wohlfühlort werden, an dem jede Frau ab Beginn der Schwangerschaft individuell betreut wird. Wie das gelingen kann und was sich für Patientinnen durch den Qualitätsvertrag verbessert, erklären Prof. Dr. Holger Maul und Dr. Siegmund Köhler im Gespräch mit der fit!-Redaktion.

Prof. Dr. Holger Maul

Dr. Siegmund Köhler

Der Qualitätsvertrag Geburtshilfe sichert eine umfangreiche Versorgung von werdenden Müttern. Was ändert sich für Patientinnen?

Köhler: Das Qualitätsmanagement in der Geburtshilfe hat sich in Deutschland bisher einzig auf die Informationen im Mutterpass konzentriert. Steht also im Pass, dass ein Kind gesund zur Welt gekommen ist, Laborwerte einwandfrei sind und dass es der Mutter gut geht, dann schlussfolgern wir, dass wir alles richtig gemacht haben. Doch das ist leider nicht immer der Fall. Wir erleben, dass Frauen nach scheinbar hervorragender Entbindung dennoch von der Geburt traumatisiert sein können. Daten zeigen, dass es eine riesige Dunkelziffer an Patientinnen gibt, die nach der Geburt eine psychologische Belastung bis hin zur Depression entwickeln. Hier existiert eine Lücke im Qualitätsmanagement, die wir mit dem neuen Qualitätsvertrag Geburtshilfe schließen. Die Mutter geht jetzt als subjektiver Qualitätsmarker in die Bewertung mit ein.

Maul: Es gibt viele Aspekte, die wir bisher nicht systematisch erfasst haben. Dazu gehört auch, ob Frauen nach der Entbindung Probleme mit der Geburtsnarbe haben, ob der Damm schmerzt oder ob sich in den ersten sechs Monaten nach der Geburt Inkontinenz oder andere Leiden manifestieren. Auch in das Stillmanagement stecken wir in der Klinik unheimlich viel Energie, ohne zu wissen, wie die Stillrate nach sechs Wochen aussieht. Dazu gibt es bisher gar keine Daten. Mit dem Qualitätsvertrag haben wir jetzt erstmalig ein strukturiertes Rückmeldesystem etabliert, das  uns ermöglicht, jede einzelne Maßnahme neu zu bewerten.

 

Der Qualitätsvertrag beinhaltet auch eine strukturierte Geburtsvorsorge in Klinken durch Hebammen. Warum ist das so wichtig?

Maul: Es gibt bereits seit Langem ein strukturiertes System der Nachsorge durch Hebammen. Sie kümmern sich um Dammnähte sowie das Stillen und Versorgen der Kinder. Diese Leistungen werden von Krankenkassen bezahlt. Während der Schwangerschaft läuft hingegen vieles noch relativ unstrukturiert. Es gibt unterschiedlichste Kursangebote durch Hebammen, die aber teils mit Kosten verbunden sind, welche nur von einigen Krankenkassen und meist nicht vollständig übernommen werden. Im Ergebnis kommen viele Frauen nicht in den Genuss solcher Maßnahmen. Deshalb sorgt der Qualitätsvertrag jetzt dafür, dass Kliniken mit einer Struktur ausgestattet sind, die allen Frauen die gleichen Hebammentermine zur Geburtsvorsorge in der Klinik anbietet.

Köhler: Mit der Integration der Hebammen im Qualitätsvertrag haben wir es geschafft, einen Boden zu schaffen, auf dem eine Struktur der Versorgung vor der Geburt wachsen kann. Wir können Frauen die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen, die im Vorfeld der Geburt extrem wichtig sind. Ein Beispiel dafür ist, ob bei der vaginalen Geburt prophylaktisch ein Dammschnitt erfolgen oder einfach nichts gemacht werden soll. Wissenschaftlich gibt es dazu bis heute keine klaren Daten. Zudem hat jede Frau, die auf eine Geburt zugeht, Ängste, Sorgen und Nöte und es gibt vieles, was sich Patientinnen im Arztgespräch nicht zu fragen trauen. Wer aber schlecht informiert ist, erleidet in einer sensiblen Situation eher einen Kontrollverlust. Deswegen ist die intensive Vorsorge durch Hebammen essenziell.

Maul: Das ist richtig. Es ist so, dass wir schon seit langem kultur- und traumasensibel arbeiten. Doch die Anforderungen steigen. Denn heute ist die Welt viel bunter als früher. Wir müssen viel feinere Antennen haben, um jede Frau genau dort abzuholen, wo sie steht. Denn jede Geburt ist eine enorme Belastungssituation, die zudem gern rosarot dargestellt wird. Wenn das gesamte Geburtshilfeteam weiß, wie jede einzelne Frau eingestellt ist und welche Erwartungen es gibt, dann können wir individuellen Ängsten vorbeugen.

Ein zentraler Bestandteil des Qualitätsvertrages ist eine App für Patientinnen. Wofür braucht es diese?

Maul: Viele Frauen, die heute bei uns in der Klinik sind, wissen nicht, wie sie sich in dem komplexen Gesundheitssystem zurechtfinden können. Die App, die werdende Mütter ab Beginn der Schwangerschaft erhalten, hilft da ganz entscheidend. Es werden darüber wichtige Informationen sowie Kurse rund um die Schwangerschaft und Geburt zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig können Patientinnen ihre Befindlichkeiten genauestens dokumentieren und es wird, sobald etwas Auffälliges passiert, ein Frauenarztbesuch empfohlen. Die Leichtigkeit der App ermöglicht zudem eine strukturierte Rückmeldung, aus der sich leicht Daten auswerten lassen – selbstverständlich anonymisiert. Das bringt riesige Vorteile. Wir erreichen so, dass wirklich jede Frau den gleichen Zugang zu Informationen hat, die wichtig für sie sind. Und wir lernen aus den Rückmeldungen und können uns untereinander vergleichen.

Köhler: Unsere Patientinnen haben da wirklich drauf gewartet. Wenn ich ein paar Turnschuhe im Internet bestelle, dann werde ich am nächsten Tag gefragt, wie fandest du die Lieferung, wie gefallen dir die Turnschuhe, wie kommst du damit klar? Hat man aber ein Kind bekommen, dann wird einem im Mutterpass attestiert, dass man gefälligst glücklich zu sein hat, weil die Geburt gut war. Wir können Mütter jetzt zum ersten Mal über die App fragen, wie schnell sie nach der Geburt wieder ins soziale Leben kommen, wann sportliche Aktivitäten wieder möglich sind oder wie es mit dem Wasserlassen und dem Stuhlgang nach der Entbindung läuft. Das sind Themen, die teils tabuisiert sind und über die, dank der digitalen, neutralen Form, leichter gesprochen werden kann. Der Vorteil für Versorgende ist, dass jede Klinik ihre individuellen Daten im Vergleich zu den bundesweiten Ergebnissen auswerten kann und sieht, wo es generellen und wo es klinikspezifischen Optimierungsbedarf gibt.

 

Was können wir von der Geburtshilfe der Zukunft erwarten?

Köhler: Eine Schwangerschaft emotionalisiert alle. Deswegen ist es in der Geburtshilfe entscheidend, alle Maßnahmen auf die individuellen Bedürfnisse von Patientinnen auszurichten. Die Asklepios- und Rhön-Kliniken haben jetzt, zusammen mit Krankenkassen, dank des Qualitätsvertrags einen großen Schritt nach vorn in Richtung einer individualisierten, optimierten Geburtshilfe getan.

 

Prof. Dr. Holger Maul (Chefarzt für Geburtshilfe und Frauenheilkunde) von den Asklepios Kliniken Barmbek, Wandsbek und Nord-Heidberg und Dr. Siegmund Köhler, leitender Arzt der Geburtshilfe, Perinanatalmedizin und fetale Therapie am Standort Marburg des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) sowie Professor am Baylor College (Houston Texas/USA) haben den Qualitätsvertrag Geburtshilfe, zusammen mit Krankenkassen, maßgeblich mit konzipiert.

Begleitung für werdende Mütter

Die wichtigsten Infos zum Qualitätsvertrag auf einen Blick

In 15 Asklepios- und Rhön-Kliniken steht ab sofort ein umfassendes Programm werdenden Mütter vom ersten Kliniktermin bis sechs Monate nach der Geburt zur Verfügung. Schon bei der Anmeldung werden Wünsche und Bedürfnisse der Schwangeren besprochen. Eine App liefert wichtige Infos, Übungen und Tipps zur Geburtsvorbereitung und zur Vorbeugung einer Wochenbettdepression. Für Frauen ohne eigene Hebamme gibt es in der Klinik regelmäßige Sprechstunden. Ziel des Programms ist es, Kaiserschnitte zu vermeiden und die Geburtserfahrung zu verbessern. Als Ergänzung zur regulären Betreuung unterstützt es Mütter auf dem Weg zu einer positiven Geburt.

Verena Fischer