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Gesundheitsrisiko Personalmangel: Arbeitswelt unter Druck

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Seit Jahrzehnten warnen Fachleute vor Personalmangel in den Unternehmen. Nun ist er da und die Folgen sind spürbar – auch für die Gesundheit der verbliebenen Beschäftigten. Eine wertschätzende Unternehmenskultur ist jetzt wichtiger denn je.

Der höchste Krankenstand seit 25 Jahren – das ist das Ergebnis des DAK-Gesundheitsreports 2023 mit dem Titel „Gesundheitsrisiko Personalmangel: Arbeitswelt unter Druck“. Die hohe Zahl von Arbeitsausfällen ist eine direkte Folge der Coronapandemie und der Infektionswelle im Herbst 2022. Für viele Menschen wurden die Folgen spürbar: geschlossene Kitas, eingeschränkte Öffnungszeiten beispielsweise in der Gastronomie oder ausgedünnte Fahrpläne bei Bus und Bahn.

Gesundheitsrisiken
Welche Auswirkungen der Personalmangel auf die Gesundheit der verbliebenen Beschäftigten hat und welches Potenzial das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) birgt, wurde für den diesjährigen Gesundheitsreport untersucht. Die Auswertungen zeigen, dass ständiger Personalmangel für fast die Hälfte der Beschäftigten bereits Alltag ist – mit deutlichen Gesundheitsrisiken. Die Arbeitswelt steht enorm unter Druck und die Zusammenhänge zwischen Personalmangel und Krankenstand sind größer als bisher vermutet.

Arbeitskräfte fehlen überall
2021 meldete die Bundesagentur für Arbeit personelle Engpässe in 148 Berufen. Ende 2022 nannte die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) die Zahl von zwei Millionen vakanten Stellen, die dauerhaft nicht besetzt werden könnten. Zuletzt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz geäußert, dass es das Problem der Arbeitslosigkeit in Deutschland bald nicht mehr geben werde. Was aus Sicht eines Sozialpolitikers wie die Verwirklichung einer Utopie klingen mag, ist aus unternehmerischer Perspektive eine bedrohliche Vorstellung. Nicht nur spezialisierte Fachkräfte werden knapp. Arbeitskräfte insgesamt stehen nur noch in sehr begrenztem Maß zur Verfügung.

Erhöhter Krankenstand
Laut DAK-Gesundheitsreport, in den unter anderem die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage unter mehr als 7.000 versicherungspflichtig Beschäftigten einfließen, waren insbesondere der Gesundheits- und Sozialbereich, die Logistik und das Handwerk von verschärftem Personalmangel durch Corona und Co. betroffen. 88 Prozent der für den Gesundheitsreport befragten Beschäftigten haben den Personalmangel unmittelbar erlebt, 45 Prozent waren das gesamte Jahr über davon betroffen. Wenig überraschend sind die Berufsgruppen: medizinische Pflege, Altenpflege, Kinderbetreuung, Sozialarbeit. In der Logistiksparte trifft es besonders Berufskraftfahrerinnen und -fahrer. Und: Der Krankenstand in den Bereichen mit hohem Personalmangel lag deutlich über dem Bundesschnitt von 5,5 Prozent. Bei Erzieherinnen und Erziehern betrug er beispielsweise 6,8 Prozent, bei Altenpflegerinnen und -pflegern sogar 7,0 Prozent.

„In Situationen des Personalmangels
ist die Arbeitsbelastung sehr hoch.
Das kann zu hohen Fehlzeiten
beziehungsweise zu einem relativ
hohen Krankenstand führen, dies
wiederum belastet die verbleibenden
Beschäftigten zusätzlich.“

„Der demografische Wandel trifft auf
die Pflege doppelt zu: Zum einen
gibt es immer mehr alte, multimorbide
Patienten, die versorgt werden
müssen. Zum anderen gibt es immer
weniger junges Pflegepersonal, das
sich um die Patienten kümmert.“

Prof. Dr. Volker Nürnberg, Partner
der Strategieberatung BearingPoint

 

Jasmin Arbabian-Vogel, Geschäftsführerin von IKS Hannover

Astrid Schmidt, Referentin bei ver.di

„Das Problem ist nicht mehr, dass wir Stellen erst nach längerer Zeit besetzen können. Wir können sie einfach gar nicht mehr besetzen“, sagt Jasmin Arbabian-Vogel, Geschäftsführerin des Pflegeunternehmens Interkultureller Sozialdienst, Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen sowie Mitglied des BGM-Beirats der DAK-Gesundheit. In der Folge ist das vorhandene Personal überlastet, wird krank und reduziert unter anderem auch deshalb die Arbeitszeit.

Beschäftigte unter Druck
Konstante Personalnot betrifft sowohl Unternehmen als auch deren Mitarbeitende. Letztere leiden unter permanentem Termin- und Leistungsdruck (68 Prozent), Überstunden (59 Prozent), fehlenden Pausen (46 Prozent), Entscheidungen, die auf einer unzureichenden Wissensbasis getroffen werden müssen (41 Prozent), und der ständigen Sorge, die Arbeit nicht zu schaffen (38 Prozent). Am Ende dreht sich die Krankheitsspirale. Müdigkeit, emotionale und körperliche Erschöpfung werden zum ständigen Begleiter. Die Zeit für einen gesunden Ausgleich, für Familie, Sport, Kultur oder Hobbys fehlt. Aus dem Dauerstress entwickeln sich häufig Erkrankungen, zugleich aber auch sogenannter Präsentismus, bei dem die Beschäftigten trotz Erkrankung zur Arbeit gehen. All das bleibt nicht folgenlos: Mitunter lang anhaltende psychische Erkrankungen, etwa Depressionen und Angstzustände, führen seit Jahren zu mehr Fehlzeiten und jeder Ausfall verschlimmert den Personalmangel.

Gesunde Unternehmenskultur
Gesundheitsvorsorge und Prävention sind wichtiger denn je, wenn Unternehmen Fehlzeiten reduzieren und die verbliebenen Beschäftigten arbeitsfähig bis ins Alter halten möchten. Auch wenn Gewerkschaften und Unternehmen häufig unterschiedlicher Meinung sind, in diesem Punkt sind sich Unternehmerin Jasmin Arbabian-Vogel und Astrid Schmidt von ver.di sehr einig: Beide sehen in Personalmangel, Arbeitsdruck und Dauererkrankung ein Führungsproblem. „Wir müssen die Arbeitskultur insgesamt ändern“, ist Astrid Schmidt, Referentin für Innovation und Gute Arbeit bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, überzeugt. Es mangele an Diversität in jeder Hinsicht, an flexiblen, aber verlässlichen Arbeitszeiten, an der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben.

Vereinbarkeit gefragt
In der Konsequenz erwägen viele Beschäftigte eine Reduktion ihrer Arbeitszeit, was den Personalmangel noch verstärkt. So haben rund sechs Prozent der Beschäftigten, die Personalmangel erleben, ihre Arbeitszeit im vergangenen Jahr reduziert, weitere 19 Prozent planen diesen Schritt. „Die Arbeitsbelastung in Teilzeit ist allerdings kaum geringer als in Vollzeit“, sagt Astrid Schmidt. Während viele Beschäftigte über eine Reduzierung der Stunden nachdenken, sehen Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter in der Verringerung der Teilzeitquote vor allem bei Frauen eine Möglichkeit, zusätzliches Arbeitskräftepotenzial zu heben. Denn noch immer arbeiten fast zwei Drittel der Frauen mit Kindern in Teilzeit – und stocken nach der Kinderphase ihre Stunden nicht mehr auf. Zum Vergleich: Männer arbeiten nicht einmal zu zehn Prozent in Teilzeit, und wenn, dann ist Kinderbetreuung deutlich seltener als bei Frauen der Grund dafür.

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass rein rechnerisch mindestens 300.000 Vollzeitstellen in der Pflege besetzt werden könnten, wenn abgewanderte Fachkräfte in den Beruf zurückkehren und Teilzeitkräfte die Stundenanzahl erhöhen würden. Diese Potenziale zu heben, setze allerdings attraktive Arbeitsbedingungen voraus, betont ver.di-Frau Astrid Schmidt.

Herausfordernde Führung
Aus den Befragungen für den DAK-Gesundheitsreport geht hervor, dass Frauen ihre Arbeitszeit erst dann ausweiten, wenn es ihre familiäre Situation wieder zulässt. Fast ein Fünftel der Frauen, die die Stundenzahl erhöht hatten, folgte einem Vorschlag des Chefs oder der Chefin. Und viele ältere Beschäftigte können es sich gar nicht vorstellen, länger zu arbeiten, weil es ihre Gesundheit nicht zulässt. „Kommunikation hilft“, sagt Jasmin Arbabian-Vogel. Die Unternehmerin und die Gewerkschafterin sind sich auch in diesem Punkt relativ nahe. Für die beiden Frauen liegt der Schlüssel zur Lösung eines Teils des Personalproblems bei den Unternehmen selbst: Beschäftigte sollten in die Gestaltung ihrer Arbeitsumwelt einbezogen und Leistungserwartungen realistisch bemessen werden. Die Arbeitszeiten sollten so flexibel wie möglich und auf die Bedürfnisse der Beschäftigten zugeschnitten sein. Unternehmerin Arbabian-Vogel ist überzeugt: „Wenn wir uns darum kümmern, dann bleiben unsere Beschäftigten lange arbeitsfähig, weil sie zum Beispiel auch Zeit für Sport haben. Sie sind motiviert und arbeiten gern, und über eine Rente mit 63 brauchen wir dann nicht mehr zu sprechen.“

Führung wird herausfordernder – doch der Aufwand lohnt sich, wenn dadurch Gesundheit, Mitarbeiterbindung und zudem die Attraktivität des Unternehmens gestärkt werden.

„Es ist eine existenzielle Frage und ökonomische Notwendigkeit, sich mit der Gesundheit seiner Beschäftigten auseinanderzusetzen. Dabei geht es vor allem um die Rahmenbedingungen. Wie gestalte ich die Rahmenbedingungen, dass sie nicht krank machen, dass sie die Menschen gesund halten, dass sie ihre Energie richtig herausholen? Wir reden über Kultur, über Organisation, über Prozessgestaltung, über Strukturen, über gesunde Führung, über gesunde Personalentwicklung und über gesunde Laufbahnplanung.“

Professorin Jutta Rump, Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Institut für Beschäftigung und Employability

* Alle Zahlen und die eingerückten Zitate stammen aus dem Gesundheitsreport 2023 der DAK-Gesundheit. Zu finden unter: www.dak.de/gesundheitsreport

Nadine Kraft

Unsere Angebote zum gesunden Arbeiten

Die DAK-Gesundheit steht Unternehmen mit passgenauen Lösungen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zur Seite – sei es mit der gezielten Unterstützung von Führungskräften oder mit Angeboten zum gesunden Arbeiten.

BGM-Prozessberatung
Probleme erkennen, Ziele formulieren, Lösungen erarbeiten, Veränderungen bewirken, Erfolg messen – das ist die Vorgehensweise der DAK-Gesundheit beim BGM. Je nach Situation werden aus rund 400 Modulen für jedes Thema und für jede Zielgruppe geeignete Maßnahmen zusammengestellt und an die spezifische Situation im Unternehmen angepasst.

Weitere Informationen zur BGM-Prozessberatung und zum BGM unter www.dak.de/bgm sowie unter der BGM-Hotline 040 325 325 720. Oder einfach per E-Mail an: bgm@dak.de

Hybrid arbeitende Teams
Mit (hybriden) Teamentwicklungsprogrammen können Sie Ihre Mitarbeitenden für deren Gesundheit sensibilisieren und gleichzeitig den Zusammenhalt fördern. Das Angebot richtet sich speziell an hybrid arbeitende Teams. BGM-Hotline 040 325 325 720

Online-Vortrag zum Thema Personalmangel und BGM
„Kräfte bündeln – Belegschaften stärken“ Informationen und Anmeldung: www.dak.de/bgm