Immer mehr Berufstätige leisten einen Spagat zwischen Job, Familie und der Pflege eines Angehörigen. Unternehmer berichten von ihren Erfahrungen.
Ihre Mutter ist senil und der Vater dement. Heike Schwarz (Name von der Redaktion geändert) musste sich irgendwann eingestehen, dass die Pflege der Eltern neben dem Job nicht mehr ging. Unter diesen Hut musste auch noch das eigene Familienleben passen – es wurde einfach alles zu viel.
Die 52-jährige Bankangestellte versuchte zunächst selbst, sich neu zu organisieren und die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Leicht war das nicht: „Die Formulierungen sind so kompliziert, da blickt der Laie gar nicht durch.“
In ihrem Unternehmen besteht eine Kooperation mit der WDS.care, einer Division der WDS GmbH, welche bundesweit Pflegeberatungen und -schulungen anbietet. „Das sind Profis, die haben sehr anschaulich erklärt, welche Möglichkeiten es gibt, und beim Stellen der Anträge geholfen.“ Inzwischen hat ihre 86-jährige Mutter den Pflegegrad 1, der gleichaltrige Vater den Pflegegrad 3. „Die Beratung“, sagt sie, „ist ausgesprochen nützlich.“
Spagat zwischen Job und Pflege
Rund 4,7 Millionen Deutsche pflegen einen nahen Angehörigen, darunter geschätzt 2,6 Millionen Erwerbstätige. Viele reduzieren ihre Arbeitszeit oder geben ihre Erwerbstätigkeit gleich ganz auf. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird weiter zunehmen und doch, so zeigt es eine Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP), sind in 58 Prozent der Unternehmen Angebote zur besseren Vereinbarkeit weder vorhanden noch geplant. Wobei es oft nicht am Willen fehlt, sondern an den Kenntnissen über die Bedarfe der Beschäftigten und über die Möglichkeiten zu deren Unterstützung.

Leiterin der Sozialen
Dienste bei Henkel
600 Betroffene
„Von den Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege profitieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber“, sagt Regina Neumann, Leiterin der Sozialen Dienste bei Henkel. „Beschäftigte, deren Probleme ernst genommen und für die Lösungsmöglichkeiten gefunden werden, können entlasteter ihre Aufgaben erledigen.“ Die Bindung an das Unternehmen wächst, Fehlzeiten sinken in der Regel. Von den knapp 5.500 Henkel- Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern am Standort Düsseldorf haben rund 600 mit dem Thema Pflege zu tun. Für sie hat Henkel vorbildliche Angebote zur Vereinbarkeit von Pflege und Arbeit entwickelt, wofür das Unternehmen im vergangenen Jahr mit dem renommierten Otto-Heinemann-Preis ausgezeichnet wurde.
Pflege dauert circa acht Jahre
Das Konzept von Henkel basiert auf drei Säulen. Zum einen auf persönlicher Beratung während der Arbeitszeit. „Jeder Fall ist anders, wir versuchen immer, individuelle Lösungen zu finden“, erzählt Regina Neumann. Das kann die Vermittlung eines Heimplatzes sein, einer Haushaltshilfe oder Unterstützung bei der Beantragung eines Pflegegrades. „Wir begleiten unsere Mitarbeiter oft über eine lange Zeit.“ Im Durchschnitt dauert die Pflege eines Angehörigen acht Jahre.
Weil Pflegende nach der Arbeit meist wenig Zeit haben, bietet Henkel Bildungsangebote im Rahmen des Konzepts „Lunch & Learn“ an. Während einer verlängerten Mittagspause sprechen Experten zu wechselnden Themen, etwa zur Finanzierung eines Heimplatzes. Zudem treffen sich Mitarbeiter in begleiteten Care-Support-Gruppen, in denen sie sich austauschen und voneinander lernen können. Weil die Finanzierung der Pflege immer ein zentrales Thema ist, hat Henkel Careflex entwickelt, eine betriebliche Pflegezusatzversicherung, die eine Basisabsicherung für die ambulante, stationäre und teilstationäre Pflege bietet – und die auch Familienangehörigen offensteht.
Als Großunternehmen hat Henkel andere Möglichkeiten als kleinere oder mittlere Betriebe. Auch für diese hat Regina Neumann einen Tipp: In jeder Stadt gibt es freie Verbände, die vor Ort beraten. Kleinere Betriebe könnten sich an diese wenden und Beratungskooperationen eingehen, um ihre pflegenden Beschäftigten zu unterstützen.
60 Sekunden Wissen
Etwa 2,6 Millionen Erwerbstätige pflegen einen Angehörigen.
Knapp die Hälfte von ihnen schränkt die Erwerbstätigkeit ein oder gibt sie ganz auf. Die Arbeitszeitreduktion beträgt bei den meisten fünf bis zehn Stunden pro Woche.
58 Prozent von 401 befragten Unternehmen machen keine betriebsinternen Angebote, um pflegende Mitarbeiter zu entlasten.
Für 43 Prozent der Befragten ist die Umsetzung solcher Angebote generell eher zu aufwendig und andere Fragen werden als wichtiger betrachtet.
62 Prozent der Befragten fehlen Informationen, welche Beschäftigten tatsächlich Unterstützungsbedarf in der Pflege haben.
63 Prozent vermissen Kenntnisse darüber, welche Angebote für Betroffene hilfreich wären.
Für 47 Prozent der Befragten spielt Demenz bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege in ihrem Unternehmen zurzeit keine Rolle.
Quellen: Studie der Stiftung ZQP: Befragung von Personalverantwortlichen aus 401 Unternehmen; ZQP-Studie „Pflegende Arbeitnehmer“; Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit zum Thema Pflegeversicherung; iga.Wegweiser „Beruf und Pflegeverantwortung“

Fachgebietsleiter
der WDS GmbH
Gemeinsam nach Lösungen suchen
Grundsätzlich sei es wichtig, dem Thema offen gegenüberzustehen und den Beschäftigten zu signalisieren, dass gemeinsam nach Lösungen gesucht werde, ergänzt Oliver Berlinghoff, Fachgebietsleiter der WDS GmbH. Manche Betroffene fürchten negative Konsequenzen, wenn sie sich offenbaren. Sie nehmen deshalb die Doppelbelastung durch Job und Pflege so lange in Kauf, bis sie arbeitsunfähig werden. Davon habe niemand etwas, meint Berlinghoff: „Die Augen zu verschließen, ist kein Rezept.“

Leiterin Gleichstellung
und Diversity beim
Norddeutschen Rundfunk
NDR bietet Beratung
Das sieht Nicole Schmutte, Leiterin Gleichstellung und Diversity beim Norddeutschen Rundfunk, genauso. 49 Jahre beträgt der Altersdurchschnitt der Beschäftigten beim NDR, immer öfter werde sie auf das Thema Pflege angesprochen. „Weil wir selber nicht über die Beratungskompetenz rund um die Uhr verfügen, haben wir einen externen Dienstleister beauftragt“, erzählt Schmutte. Zudem kooperiert der NDR mit der gemeinnützigen und unabhängigen Angehörigenschule, die Infoveranstaltungen durchführt, für die die Beschäftigten nach Rücksprache mit den Vorgesetzten freigestellt werden. „Am Anfang stand die Frage: Was haben wir als Unternehmen davon, wenn wir eine Pflegeberatung anbieten?“, meint Schmutte. Die Antwort sei klar, dies helfe dem Unternehmen: „Die Beschäftigten haben den Kopf frei, sie können sich wieder ganz auf ihre Arbeit konzentrieren.“
Rückhalt ist wichtig
Für Heike Schwarz war der Rückhalt, den sie von ihrem Arbeitgeber erhalten hat, enorm wichtig. „Zu wissen, dass sich meine Situation im Job nicht verschlechtert, wenn ich mal ausfalle, hilft mir im Alltag“, sagt sie. Sie könne sich aber noch mehr vorstellen: „Ich fände es schön, wenn die Pflege nicht nur toleriert wird. Sondern wenn man anerkennt, dass die Pflegenden sich um ihre Familie kümmern und Sozialkompetenz beweisen.“
Rainer Busch
Fotos: WDS GmbH, NDR, BMG
Interview mit Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung
Bislang erhielten deutsche Pflegeheime auf der Bewertungsskala oft reihenweise Bestnoten. Nicht immer stimmte das Ergebnis mit der Realität überein. Wie kann sich das mit dem neuen Pflege-TÜV ändern?
Andreas Westerfellhaus: Als Pflegebevollmächtigter habe ich sehr darauf gedrungen, dass endlich ein verlässliches Instrument zur Beurteilung der Qualität einer Einrichtung eingeführt wird. Das neue Qualitätssystem legt den Fokus auf die Ergebnisqualität. Das ist ein wichtiger Punkt. Und die Ergebnisse müssen so veröffentlicht werden, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen daraus einen Nutzen ziehen können. Das heißt auch, dass sie sich tiefergehend informieren können, wenn sie das wollen. Ich erwarte, dass die Darstellung so umgesetzt wird, dass sie diesem Anspruch auch gerecht wird.
Laut Umfragen würden zwei Drittel aller Deutschen bei der Beurteilung von Pflegeheimen lieber der Erfahrung von Freunden oder Familienangehörigen vertrauen. Warum sollten sie jetzt auf die Bewertung des Pflege-TÜV setzen?
Andreas Westerfellhaus: Das neue Bewertungssystem wird anders aufgesetzt sein und deutlich mehr Qualitätskriterien darstellen, damit die Menschen sich ein realistisches Bild über die Einrichtung, deren Leistungen und vor allem auch deren Versorgungsqualität machen können. Es kann somit viele wichtige Informationen für eine Entscheidung liefern. Aber für mich ist trotzdem klar: Auch das neue Qualitätssystem wird die persönliche Begleitung eines Angehörigen nicht überflüssig machen. Eine Pflegeeinrichtung kann man nicht im Internet aussuchen, das muss man vor Ort machen.
Was muss sich zusätzlich zur Reform des Pflege-TÜV in der Pflege aus Ihrer Sicht noch ändern? Wie sieht Pflege in zehn Jahren aus?
Andreas Westerfellhaus: Ein aktuelles Kernthema ist und bleibt der Fachkräftemangel. In der Konzertierten Aktion Pflege haben wir deshalb zahlreiche Maßnahmen vereinbart, unter anderem um Arbeitsbedingungen und Löhne in der Pflege spürbar zu verbessern. Ein großes Thema mit Blick auf die Zukunft ist für mich aber auch die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe. Wir brauchen mehr interprofessionelle Zusammenarbeit, in der Praxis und in der Ausbildung. Eine gute, flächendeckende Versorgung wird künftig nur gelingen, wenn wir Versorgungsprozesse, Aufgaben und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufen und Bereichen neu denken.
Innovative Angebote
Für Unternehmen:
Alterssimulation
Mit Altersanzügen in die Lage von Senioren versetzen.- Pflegesprechstunde
Beratungsservice vor Ort in Unternehmen. - Pflegekurse
Berufstätige erlernen praktische Handgriffe und Anleitungen für Pflegesituationen. - Bundesweiter Vor-Ort-Pflegeservice
Qualifiziertes Pflegepersonal berät Berufstätige individuell zu Hause.
Sie haben Interesse an den Angeboten der DAK-Gesundheit? Sprechen Sie Ihren Arbeitgeber an, dieser erhält eine weitergehende Beratung zu unseren Angeboten im DAK Business Consulting unter der DAK-Hotline 040 325 325 750 zum Ortstarif.
Digitale Lösungen:
- DAK Pflege-App Das Online-Angebot unterstützt alle pflegenden Angehörigen – egal, wo sie versichert sind. Die DAK Pflege-App gibt praktische Tipps und Anleitungen für den Pflegealltag. So werden wichtige Handgriffe in Videos erklärt – etwa wie Pflegebedürftigen beim Aufstehen oder bei der Körperpflege geholfen werden kann. Ein Rechner ermittelt zudem die individuellen Ansprüche auf Leistungen der Pflegekasse. Mehr Infos finden Sie unter dak.de/pflege-app
- DAK Pflegecoach Das Online-Coaching für pflegende Angehörige. Der DAK Pflegecoach ist jederzeit online nutzbar und beantwortet Fragen zur häuslichen Pflege, zu Alzheimer und Demenz sowie zum Wohnen und Leben im Alter. Mehr Infos finden Sie unter dak.de/pflegecoach
- DAK Erinnnerungs-Coach Zusammen mit Amazons Alexa helfen wir Menschen mit Demenz, ihre Erinnerungen zu bewahren. Durch praktische Übungen wird das Langzeitgedächtnis aktiviert. Der Coach wird einfach auf Zuruf gestartet und sorgt für Erfolgserlebnisse im Pflegealltag. Mehr Infos finden Sie unter dak.de/erinnerungs-coach