Darum tut uns der Wald so gut
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Wellness-Trend Waldbaden

Spazieren gehen durch die älteste Apotheke der Welt
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„Weißt Du, was ein Wald ist? Ist ein Wald etwa nur zehntausend Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude?“, schwärmte Bert Brecht. Heute wissen wir, dass ein Waldspaziergang auch positiv auf unser Herz-Kreislauf-System wirkt, unsere Immunabwehr stärkt und unsere Seele ins Gleichgewicht bringt.

Internationale Studien haben die wohltuende Wirkung des Waldes wiederholt nachgewiesen, sodass Medizinerinnen und Mediziner den Wald bereits als Arznei der Zukunft loben, als älteste Apotheke der Welt. Doch warum profitiert unsere Gesundheit vom schattigen Wald-Dach?

Grüne Heilkraft

Koreanische Forscherinnen und Forscher der Yonsei-Universität in Seoul schickten zur Klärung 43 ältere Frauen auf einen Spaziergang im Wald. Nach einer Stunde nahm man ihnen Blut ab und maß ihren Blutdruck: Der Blutdruck war gesunken, die Lungenkapazität hatte zugenommen und die Elastizität der Arterien sich gebessert. Bei der Kontrollgruppe, die in der Stadt spazierte, konnten die Forschenden keine Veränderungen gesundheitlicher Parameter feststellen. Wie wirken die grünen Heilkräfte genau?

Bioaktiver Cocktail

Die Studien legen nahe, dass es bestimmte Stoffe der Bäume sind, die wir durch die würzige Waldluft über unsere Atemwege aufnehmen: Sogenannte Phytonzyde, pflanzeneigene Heilstoffe, und Terpene, ätherische Öle aus der Baumrinde, wirken wohltuend auf unsere Gesundheit. Atmen wir Waldluft, so versorgen wir unseren Körper mit einem Cocktail bioaktiver Substanzen. Dieser stärkt unsere Bronchien, kurbelt unser Immunsystem an und aktiviert sogar die Krebsabwehr: Krebs-Killerzellen und drei verschiedene Anti-Krebs-Proteine werden durch das Einatmen der Phytonzyde produziert.

Sieben Tage Wirkung

Die Phytonzyde lassen unser Blut sauerstoffreicher werden, wodurch unsere Organe besser versorgt werden. Forschende der Nippon Medical School in Tokio fanden heraus, dass diese positive Wirkung im Blut noch sieben bis sogar 30 Tage nach einem einstündigen Waldspaziergang nachgewiesen werden konnte. Ein Tag in würziger Waldluft führte dazu, dass die Killerzellen im Blut um ganze 50 Prozent anstiegen. Die Aktivierung regt unser gesamtes Immunsystem an.

Der Wald als Seelentröster

Tanne, Fichte und Co. wirken als Seelentröster, Stimmungsaufheller und Mutspender. Allein fünf Minuten im Wald genügen, um eine positive Wirkung auf das Selbstbewusstsein messen zu können und eine Aufhellung der Stimmung zu beobachten, wie britische Forscherinnen und Forscher nachwiesen. Dass der Wald oder auch ein Park ein wahres Glücks-Elixier für uns sein und unsere seelischen Abwehrkräfte (Resilienz) stärken können, bewies eine Studie, bei der britische Forschende die Wirkung von Ereignissen verglichen. Dabei steigerte ein Umzug in Parknähe fast ebenso das Glückslevel wie eine Heirat. Die positive Wirkung auf unser mentales Befinden führen Expertinnen und Experten auf eine Wirkung auf den Parasympathikus zurück, unseren körpereigenen Ruhe-Nerv, der durch den Mix aus Sauerstoff, ätherischen Duftstoffen und Waldesruhe aktiv wird.

Sieben Jahre jünger

Auch unser Blutdruck sinkt in ruhiger Waldumgebung, weil die für Stress typische Adrenalinausschüttung im Wald reduziert wird und sogar das Stresshormon Cortisol messbar abnimmt. Bereits zehn Bäume mehr um einen Häuserblock reichten aus, wie ein US-amerikanischer Forscher zeigen konnte, um das Risiko von Bluthochdruck und Diabetes präventiv zu senken und die Anwohnerinnen und Anwohner aus medizinischer Sicht um sieben Jahre zu verjüngen.

Der Baum ruft: acht Fakten rund um den Wald

Schnelle Genesung

Die ganzheitliche Wirkung auf Körper und Geist erklärt womöglich, warum Patientinnen und Patienten nach einer OP ebenfalls schneller genesen konnten und kaum Schmerzmittel brauchten, wenn der Blick ihres Krankenzimmerfensters auf einen Baum statt auf Beton ging. Medizinerinnen und Mediziner aus Japan und Südkorea haben daraus Konsequenzen gezogen und verschreiben ihren Patientinnen und Patienten bereits „forest bathing trips“ oder „shinrin-yoku“ – der Spaziergang durch den Wald als Gesundheitsbad für Körper und Seele.

Selbstheilung

Womöglich tut uns der Spaziergang auf federndem Waldboden so gut, weil wir selbst es sind, die unsere Heilkräfte aktivieren. Psychologinnen und Psychologen erklären die Wirkung des Waldes auch damit, dass die Reizüberflutung der Stadt – Sirenen, Verkehrslärm, Menschenmengen – uns mental erschöpfe und unsere Reizabwehr im Wald herunterfahren dürfe. Ideal wäre es also, wenn wir alle Förster wären – denn der Wald spendiert Vitalität, Zuversicht und Heilkraft. Die gute Nachricht: Schon ein einziger Spaziergang macht uns gesünder und glücklicher, Bert Brecht ahnte es!

Stefanie Maeck

Drei Fragen an ...

... Prof. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin

Prof. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin

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Wer profitiert von einem Waldspaziergang?

Vor allem Patientinnen und Patienten, die unter Stress und Erschöpfung leiden. Wir haben da die sogenannte kardiovaskuläre Achse, der Bereich Stress und Bluthochdruck. Auch Patienten mit koronarer Herzerkrankung profitieren sehr. Weitere Diagnosen wären Depression, Burn-out und Erschöpfung. Und als Drittes würde ich die chronischen Schmerzen nennen: Menschen mit Rückenschmerzen, Spannungskopfschmerzen oder Fibromyalgie. Diese Erkrankungen gehen mit Stress und Depressivität einher und wir wissen bislang wenig über sie. Hier wirkt ein Spaziergang im Wald positiv auf den Krankheitsverlauf.

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Warum ist ein Waldspaziergang so positiv für die Gesundheitsvorsorge?

Auch wenn wir die molekularen Gründe nicht genau kennen, wir alle stellen intuitiv die positive Wirkung fest: Unser psychisches Wohlbefinden steigt, und da ist der wohltuende sportliche Aspekt. Der Wald beruhigt und entspannt uns einfach. Stresshormone werden reduziert und irgendein Sensor in uns signalisiert unserem Körper Wohlbefinden. Auch Pheromone, also Duftstoffe, wirken vermutlich günstig auf unser körperliches Stresszentrum, sowie natürlich die Energie des Waldes. Es ist multifaktoriell. Es gilt die Regel: Die gleiche Bewegung ist immer gesundheitsförderlicher, wenn sie im Wald und an der frischen Luft passiert.

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Wird die Wirkung des Waldes durch Sport, etwa Joggen noch besser?

Von den Daten her sieht es so aus: Ein gemütlicher Spaziergang ist genauso effektiv wie Jogging. Schon ein Spaziergang einmal pro Woche kann sehr gute Ergebnisse zeitigen. Ideal wäre es, wenn jeder von uns eine Stunde pro Tag spazieren ginge, je öfter desto besser. Natürlich ist das unrealistisch, deswegen installiert man am besten eine Routine: In der Regel eignet sich der Morgen, weil unser Schlafrhythmus davon profitiert. Ein zu später Spaziergang hält manch einen zu lange wach. Ich glaube übrigens, dass der Wald ein guter Gegentrend zum Smartphone ist.