Herr Dr. Petersen, die Zahl der an Typ-2-Diabetes erkrankten Menschen nimmt zu. Inwiefern wird dies im Praxisalltag spürbar?
In hausärztlichen Praxen kommt es vor, dass jeder vierte bis fünfte Versicherte Typ-2-Diabetiker ist. Eine hohe Anzahl von Diabetikern ist besonders spürbar in Praxen mit einer älteren Klientel. Wir sehen aber auch, dass die Erkrankung immer früher auftritt. Es gibt schon Jugendliche, manchmal auch Kinder, mit Typ-2-Diabetes. Etwas, das früher gar nicht vorkam.
Wie wird versucht mit der steigenden Zahl jüngerer Erkrankten umzugehen?
Der frühere Beginn der Typ-2-Diabetes bedingt längere Erkrankungszeiten. Hier ist ein Ansatz, dass gerade die Vorsorgemöglichkeiten im Rahmen des Check-up 35 stärker genutzt und um einen Diabetes-Risikotest erweitert werden sollen. Wir gehen davon aus, dass in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen Diabetes haben und es nicht wissen. Dadurch schreitet die Krankheit unbemerkt voran und wird erst bei Folgeerkrankungen erkannt. Und das macht die Aufklärung über diese Erkrankung so wichtig. Denn Typ-2-Diabetes kann lange Jahre symptomfrei verlaufen. Man kann sich an die oftmals recht geringen Symptome gewöhnen und diese zum Beispiel aufs Älterwerden schieben. Es stellt sich erst später heraus, dass Diabetes schon längere Zeit besteht. So geht man zum Beispiel zum Augenarzt und erhält auf einmal die Diagnose Diabetes. Die Prävention und Früherkennung dient dazu, solche Verläufe zu verhindern.
Worin sehen Sie die häufigsten Ursachen für eine Erkrankung am Typ-2-Diabetes?
Es gibt drei wesentliche Ursachen: Erstens die Disposition, also die genetische Veranlagung für den Typ-2-Diabetes, bzw. die Veranlagung zur Insulinresistenz. Das ist etwas, an dem man persönlich leider nichts ändern kann. Die zwei anderen wesentlichen Ursachen sind ein bewegungsarmer Lebensstil mit zu wenig Bewegung im Alltag und das Übergewicht, vor allem das krankhafte Übergewicht, das als Adipositas bezeichnet wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass etwas mehr körperliche Bewegung am Tag, in etwa 30 Minuten, und schon eine geringe Reduktion des Übergewichts, etwa fünf bis zehn Prozent des Körpergewichts, wesentlich dazu beitragen können, das Risiko für Typ-2-Diabetes zu senken.
Das Diabetes-Präventionsprojekt Dimini will die Gesundheitskompetenz von Personen mit erhöhtem Risiko für Typ-2-Diabetes stärken. Wie soll dies konkret gelingen?
Gesundheitskompetenz hängt stark mit der Erreichbarkeit, dem Verständnis und der Nutzung von Informationen zusammen. Deswegen möchten wir Informationen über Maßnahmen, die das Risiko für Typ-2-Diabetes senken können, auf eine einfache, niedrigschwellige Weise gezielt an die Teilnehmer dieses Projektes geben. Neben der Feststellung des Risikos geht es auch darum, persönliche Gesundheitsziele zusammen mit dem Teilnehmer festzulegen. Gesundheitsziele, die realistisch sind und auch leicht erreicht werden können.
Warum liegt Ihnen das Präventionsprojekt Dimini am Herzen?
Ich bin der Meinung, dass Typ-2-Diabetes eine regelmäßig verkannte Erkrankung ist, die aufgrund ihrer Häufigkeit, ihres Verlaufes und den sehr häufigen Folgeerkrankungen das Gesundheitssystem sehr stark belastet. Und wenn es gelänge, die Zunahme von Typ-2-Diabetes in der Bevölkerung zu reduzieren, könnten sowohl das persönliche Leiden, das über die Jahre gesehen sehr hoch ist, als auch die ökonomische Belastung des Gesundheitssystems deutlich verringert werden.
Erhalten teilnehmende Praxen/Ärzte bestimmte Schulungen im Rahmen des Dimini-Projektes?
Die Schulung der Arztpraxen, sowohl der medizinischen Fachangestellten als auch der teilnehmenden Ärzte, wird auf verschiedenen Kanälen vorgenommen. Verpflichtend ist die Teilnahme an einem E-Learning-Programm für die Dimini-Ärzte. Zusätzlich gab es mehrere Präsenzveranstaltungen für die Praxisärzte und jetzt, im Laufe des Programms, gibt es regelmäßige Newsletter über die Online-Kanäle.
Wie erfahren die Patienten von Dimini und wer kann daran teilnehmen?
Es können alle Versicherten der teilnehmenden Krankenkassen an dem Projekt teilnehmen. Die Ansprache erfolgt über verschiedene Kanäle: Es gibt die direkte Ansprache durch die Praxisteams in den teilnehmenden hausärztlichen Praxen sowie eine Empfehlung zur Teilnahme durch kardiologische, orthopädische und gynäkologische Facharztpraxen und auch durch Rehazentren und Jobcenter.
Sind Typ-2-Diabetes-gefährdete Patienten einfach von einer Teilnahme zu überzeugen oder ist es eher schwer, sie dazu zu motivieren?
Nach den Erfahrungen der beiden Vorläuferprogramme des Dimini-Projektes ist es bei der überwiegenden Zahl der Teilnehmenden so, dass die Versicherten froh sind, wenn eine solche Ansprache über die hausärztliche Praxis erfolgt.
Was sind die ersten Maßnahmen im Rahmen der Teilnahme am Dimini-Projekt für Patienten (Stichwort FINDRISK-Test)?
Es wird zuerst ein Diabetes-Risikotest durchgeführt, der das statistische Risiko, innerhalb der nächsten zehn Jahre an Typ-2-Diabetes zu erkranken, ermittelt. Das ist der sogenannte FINDRISK-Test. Hierbei wird ein prozentualer Risikograd erfasst. Für Personen mit einem signifikanten Risiko von mehr als 15 Prozent lohnt es sich dann, geringe Veränderungen im Lebensstil anzustreben. Es ist durchaus möglich, das persönliche Risiko einer Erkrankung um die Hälfte zu reduzieren. Es handelt sich um Veränderungen im Alltag, die relativ einfach erreichbar, aber auf lange Sicht mit einer großen Erfolgschance verbunden sind. Ohne hier zu weit ins Detail gehen zu wollen, kann eine Veränderung des Lebensstils ratsam sein, zum Beispiel die Gewichtsreduktion bei Übergewicht oder die Steigerung der körperlichen Bewegung. Mit welchen Maßnahmen diese Ziele erreicht werden können, wird individuell ausgearbeitet.
Welche Erfolge konnten mit Dimini bereits erzielt werden?
Das Dimini-Programm wird extern evaluiert, die Ergebnisse werden erst am Ende der Programmlaufzeit Mitte 2020 vorliegen. Wir können zu dem möglichen Erfolg des Programms aber auf die Ergebnisse vergleichbarer Studien, wie des amerikanischen und des finnischen Diabetes-Präventionsprogramms, schauen, die eine Absenkung des Diabetesrisikos von 58 Prozent gezeigt haben. Die Intervention kann also das Risiko für Typ-2-Diabetes um knapp 60 Prozent senken. Das ist der Ansatz, den wir bei Dimini verfolgen. Wir wollen sehen, ob die Erfahrungen der Studien auch in den Alltag der Praxen in Deutschland übertragbar sind.