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Familie & Freizeit

„Jede Geburt ist ein kleines Wunder!“

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Christiane Schwarz hat schon einer ganzen Kleinstadt auf die Welt geholfen. An die 5.000 Babys haben mit ihrer Hilfe in den vergangenen 40 Jahren das Licht der Welt erblickt. Und doch sagt die 58-jährige Hebamme noch heute: „Jede Geburt ist ein Wunder.“ 

Ein weiteres kleines Wunder kündigt sich im Krankenhaus St. Adolf Stift in Reinbek gerade in Kreißsaal 1 an. Doch von Anspannung, Schmerz und Schufterei, die auch mit einer Geburt verbunden sind, noch keine Spur. Entspannt liegt Christina Ehrhardt auf dem großen Bett, streichelt beruhigend über ihren Babybauch und lächelt ihrem Mann aufmunternd zu. Maxim Ehrhardt wird zum dritten Mal Vater und ist sichtlich nervös. „Als Mann kann man bei einer Geburt ja nichts machen, außer den Starken spielen“, gibt er offen zu. Immer wieder sucht er den Blickkontakt mit seiner Frau und sagt: „Sie wird das wie immer ganz toll machen.“ Mit unkomplizierten Geburten kennen sich die beiden nämlich aus.

Die ersten beiden Kinder hat die heute 34-Jährige quasi nebenbei bekommen. „Es ging alles sehr schnell. Ich wollte nur noch mal eben nach Hause fahren, habe kurz etwas gegessen und die Tagesschau geguckt. Ich dachte, wir würden mindestens die ganze Nacht im Krankenhaus verbringen, und hatte es nicht eilig. Am Ende hätte ich beinahe die Geburt verpasst“, erinnert sich Maxim Ehrhardt und schüttelt noch heute, zwei Jahre später, staunend den Kopf. 30 Minuten nach seinem Eintreffen hatte sein Sohn das Licht der Welt erblickt.

Geburt im Stehen: Geplant war das nicht

„Schnelle und unkomplizierte Geburten liegen in unserer Familie“, erklärt Christina Ehrhardt, während sie immer weiter beruhigend über ihren Babybauch streichelt. Auch sie und ihr Bruder machten es ihrer Mutter sehr leicht. Die Steuerfachgehilfin wünscht sich deshalb eins: Dass man Schwangeren nicht mit Erzählungen über traumatische Geburten Angst macht. „Wenn man ein Baby bekommt, hört man immer die schlimmsten Geschichten über all das, was im Kreißsaal nicht so gut läuft. Meine eigenen Geburten habe ich aber ganz, ganz anders erlebt.“ Eine genaue Vorstellung von ihrer Zeit im Kreißsaal hatte sie nicht. „Ich glaube, man sollte sich nichts vornehmen. Eins meiner Kinder habe ich im Stehen bekommen, es tat mir gut. Aber geplant hatte ich das vorher nicht“, sagt die Reinbekerin.

All das kann Christiane Schwarz nur unterschreiben. Seit 1981 ist sie Geburtshelferin und weiß: „Jede Geburt ist anders und verläuft meistens nicht so, wie gedacht.“ Viele Schwangere wünschen sich vorher beispielsweise eine Wassergeburt, doch die wenigsten gebären dann tatsächlich im warmen Wasser. Weil es sich beispielsweise plötzlich nicht mehr gut anfühlt oder die Geburt einen anderen Verlauf nimmt.

Foto: Hebamme Christiane Schwarz und Saskia Thielk, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, tauschen sich vor dem Kreißsaal darüber aus, wie es Müttern und Kindern geht. 

Picknick im Kreißsaal

Täglich erlebt die erfahrene Hebamme zudem, dass kulturelle Unterschiede auch vor dem Kreißsaal nicht Halt machen. Ihrer Erfahrung nach bringen zwar nicht alle, aber viele Muslima gern ihre Mutter, Schwester oder Cousinen mit. Aus der familiären Gemeinschaft schöpft die Gebärende Kraft. „Andere bringen einen Picknickkorb mit und bitten auch uns Hebammen, ihr Gast zu sein“, erzählt die 58-Jährige. Eine Geste, die sie als sehr freundlich und warmherzig empfindet. In anderen Kulturkreisen hingegen ist es üblich, dass die Frauen ohne Begleitung kommen. „Als sei es ein geschriebenes Gesetz, dass die Frau das alleine durchstehen muss.“ Die Herausforderung für die Hebamme und ihre Kolleginnen: Frauen, die alleine kommen, brauchen besondere Betreuung. Es ist niemand da, der Wasser holen, Händchen halten oder den Rücken massieren kann. Diese Aufgaben muss dann das Hebammenteam übernehmen.

Werdende Eltern auf Wanderschaft

Im Kreißsaal 1 unterstützt Maxim Ehrhardt seine Frau nach Kräften. Auch wenn diese aktuell nur etwas Durst verspürt. Immer noch sehr entspannt liegt die 34-Jährige auf dem großen Bett, streichelt ihren Bauch, streckt und dehnt sich zuweilen, lächelt ihrem Mann zu, der ihr eine Flasche Wasser bringt. Alles deutet darauf hin, dass das Baby heute noch zur Welt kommen wird, doch schmerzhafte Wehen haben noch nicht eingesetzt. Um zu schauen, ob alles in Ordnung ist, schiebt Assistenzärztin Charlotte Luths das kleine, mobile Ultraschallgerät in den Kreißsaal. Wenig später die gute Nachricht: Es ist alles bestens. Beherzt schickt Hebamme Kailisha Fiedler die werdenden Eltern auf Wanderschaft. Die beiden sollen an der frischen Luft spazieren gehen – mindestens eine Stunde lang. Denn schließlich soll er ja heute noch kommen, der neue Erdenbürger.

Foto: Christina Ehrhardt und Maxim Ehrhardt werden in wenigen Stunden zum dritten Mal Eltern. Assistenzärztin Charlotte Luths führt ein letztes Mal einen kurzen Ultraschall durch. Die gute Nachricht: Alles ist bestens.

Papa und Sohn allein auf der Mutter-Kind-Station

Während Maxim Ehrhardt mit seiner Frau ums Krankenhaus läuft, um die Wehentätigkeit anzuregen, liegen Benjamin (32) und Jennifer (34) auf der Mutter-Kind-Station gemütlich im Familienzimmer. Die beiden genießen die ersten Stunden zu dritt. Denn bislang war der Reinbeker allein mit seinem Sohn. Nach der Geburt hatte die Mutter so schlechte Blutwerte, dass sie sich auf der Intensivstation erholen musste, ihr Mann kümmerte sich mit Unterstützung von Pflegekräften allein um Söhnchen Philip. Fläschchen geben, Wickeln, in den Schlaf wiegen – das war von der ersten Sekunde an Papas Job.

„Ich habe hier eine super Unterstützung bekommen, die Krankenschwestern haben mir alles gezeigt. Zwischendurch haben sie mir meinen Sohn sogar für mehrere Stunden abgenommen, damit ich ein bisschen schlafen konnte“, erzählt der Vater. Auch seine Frau ist trotz der doch dramatischeren Umstände voll des Lobes. „Unser Sohn ist drei Wochen zu früh gekommen, ich hatte eine Schwangerschaftsvergiftung. Die Ärzte und die Pflegekräfte haben aber in jeder Sekunde ausgestrahlt, dass sie alles im Griff haben. Ich fühlte mich sicher und sehr gut aufgehoben“, erklärt die junge Mutter.

Foto: Endlich zu dritt. Benjamin (32) freut sich, dass seine Partnerin Jennifer (34) und Söhnchen Philip bei ihm sind. Zwei Tage musste der frischgebackene Papa mit seinem Nachwuchs allein verbringen, die Mutter musste auf der Intensivstation betreut werden.

Fröhliches Babygebrabbel im Stillcafé

Sobald sich die Tür ihres Familienzimmers öffnet, ist das fröhliche Gebrabbel von anderen Babys zu hören. Hebamme Susanne Wulf hat im Stillcafé zahlreiche Mütter und ihre Kinder zu Gast. Jeder Junge, jedes Mädchen ist auf Mamas Schoß schon eine richtig kleine Persönlichkeit. Guckt verschämt oder keck in die Runde, schlummert im Buggy oder greift eifrig nach Stoffschmetterlingen, die Mama über ihm spielerisch zum Fliegen bringt. Für die Frauen ist das Stillcafé – ein kostenloses Angebot des Reinbeker Krankenhauses – ein Treffpunkt und eine Beratungsstelle zugleich. „Das Stillen war am Anfang schwierig. Ich habe auch keine Verwandten mehr, die ich hätte um Rat fragen können. Meine Verzweiflung war groß. Hier haben sich die Hebammen viel Zeit genommen, am Ende konnte ich meinen Sohn noch drei Monate stillen. Das war wunderbar“, erzählt Sandra Zähle (42). Sohn Jon ist mittlerweile zwei Jahre alt, bekommt bald ein Geschwisterchen. Jacqueline Guillocheau freut sich, im Stillcafé andere Mütter zu treffen, mal rauszukommen aus dem, was sie einen „Mütter-Mikrokosmos“ nennt. Allerdings: „Gestillt habe ich eben auf dem Parkplatz vor dem Haus. Bei dem hungrigen Geschrei hätte ich es nicht mehr bis hierher geschafft“, sagt die 36-Jährige und lacht. Ihre kleine Tochter ist vier Wochen alt und schlummert jetzt selig.

Foto: Im Stillcafé herrscht Babytrubel. Hier bekommen die Mütter Tipps für das Stillen, können sich mit anderen austauschen.

Das nächste Wunder in Kreißsaal 2

Auf engstem Raum sitzen im Stillcafé gleich zahlreiche kleine Wunder beisammen. Kleine Menschen, die für ihre Eltern, Oma und Opa von einer Sekunde auf die andere das Wichtigste geworden sind. Und während die Frauen noch Kaffee trinken, Plätzchen essen und Erfahrungen austauschen, erblickt nur wenige Meter weiter das nächste Wunder das Licht der Welt. Ein ganz besonderes. Denn in Kreißsaal zwei bekommt Xenia Nossow gerade ein Baby. Die 33-Jährige ist selbst Hebamme im Reinbeker Krankenhaus, hilft dort täglich Kindern auf die Welt, beruhigt Gebärende oder feuert sie bei den Presswehen an. In diesem Moment aber ist sie nichts anderes als eine Schwangere, die in den Wehen liegt.

Während Kreißsaalleiterin Susann Paul direkt neben ihr an der Geburtswanne steht, sie aufmunternd anblickt, lauschen die anderen Hebammen vom Flur aus den Geräuschen aus dem Kreißsaal. Dass eine Kollegin von ihnen heute und hier ein Kind bekommt, ist für alle ein magischer Moment. Auch Hebamme Christiane Schwarz, sonst Profi durch und durch, steht ergriffen vor der Tür. Um 12 Uhr war die zweifache Mutter mit Wehen zu ihrem Arbeitsplatz gekommen. Zweieinhalb Stunden später hält sie zärtlich David im Arm, blickt ihren dritten Jungen liebevoll an. Ein Moment, in dem auch Susann Paul Gänsehaut bekommt. „Eine Kollegin zu begleiten, ist etwas ganz Besonderes. Schon bei der Geburt ihres zweiten Sohnes war ich dabei“, sagt die 57-Jährige und strahlt. Xenia Nossow ist dankbar für die Hilfe. „In diesem Moment durfte ich einfach nur Gebärende sein. Ich habe mir selbst gesagt, ‚Du bist jetzt nicht im Dienst‘.“ Friedlich nuckelt das Neugeborene an ihrer Brust, ihr Mann Alexander beobachtet die innige Zweisamkeit und strahlt selig. „Ich habe einfach nur die Daumen gedrückt, dass alles gut geht“, sagt der 34-Jährige.

Auf ihren kleinen Justus müssen Christina und Maxim Ehrhardt noch etwas warten. Der kleine Mann hält Mama und Papa noch im Bauch ein wenig auf Trab. Später wird auch er ein weiteres kleines Wunder im Krankenhaus St. Adolf-Stift sein, bei dem Christiane Schwarz auch heute noch zuweilen weinen muss. Selbst nach 5.000 Geburten.

Foto: Babyglück: Kreißsaalleiterin Susann Paul hat ihre Hebammen-Kollegin Xenia Nossow bei der Geburt des kleinen David unterstützt. Ein Gänsehautmoment, sagen beide.

Im Auftrag der DAK-Gesundheit hat das Forsa-Institut 1.000 Frauen nach ihrem Befinden befragt,
die schwanger sind oder ein maximal vierjähriges Kind haben.

 
 
 
 
 

Susanne Holz