Sticken ist gut für Körper und Seele: Es wirkt ähnlich entspannend wie Yoga und Meditation, senkt Puls und Blutdruck, hält das Gehirn auf Trab und kann sogar Depressionen mildern.
Sticken kennen viele noch aus Omas Zeiten, als bestickte Tischdecken, Kissenhüllen oder Topflappen zur heimischen Grundausstattung gehörten. Tatsächlich gehört diese Technik zu den ältesten unter den Handarbeiten, erlebt mittlerweile aber ein echtes Revival. Schon die Kleinsten lernen im Kindergarten den Umgang mit Sticknadel und Garn. Sie verwirklichen ihre eigenen kleinen Stickprojekte und fördern so ganz nebenbei ihre Feinmotorik, die Auge-Hand-Koordination und Kreativität. Sticken hat zudem den Vorteil, dass verschiedene Gegenstände und Kleidung wie Schürzen, Wollsocken und Kissenbezüge individuell mit Stickereien verziert werden können. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Jeder bestickte Gegenstand wird zu einem ganz persönlichen Unikat, fernab der Massenproduktion.
Sticken als Ausgleich
Doch die Vorzüge des Stickens gehen noch weiter. Besonders in der heutigen schnelllebigen Zeit suchen viele nach einer Tätigkeit, die beruhigend wirkt und damit einen Ausgleich zum stressigen Alltag schafft. Das Sticken kann hier tatsächlich wie ein Ruhepol wirken – vorausgesetzt, man zieht sich zurück und lässt sich ganz auf diese Handarbeit ein. Hektik und Stress fallen ab, denn der Umgang mit Sticknadel und Garn erfordert Konzentration. Wer sich dem Sticken hingibt, taucht ab in das Hier und Jetzt, die Sorgen des Alltags rücken in weite Ferne und es entsteht ein regelrechter Flow. Die Beschäftigung mit Nadel und Faden hat also etwas Meditatives und entschleunigt den Alltag. Je regelmäßiger die Handarbeit in den Alltag integriert wird, desto ausgeglichener und zufriedener wird man. Ganz nebenbei entstehen auch noch schöne und dekorative Dinge, die das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen beflügeln.
Warum Handarbeit gesund ist
Mittlerweile hat auch die Wissenschaft zeigen können, dass sich Handarbeit wie das Sticken positiv auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirkt. Der US-Wissenschaftler Dr. Herbert Benson von der Harvard Medical School hat zwar die Wirkungen des Strickens untersucht, die Ergebnisse können aber aufs Sticken übertragen werden. Er konnte zeigen, dass die Handarbeit ähnlich entspannend wirkt wie Yoga und Meditation. Der Grund: Die sich wiederholenden und gleichmäßigen Bewegungen der Hände und Finger sowie die nötige Konzentration wirken beruhigend. Der Körper schüttet weniger vom Stresshormon Cortisol aus, Blutdruck und Puls sinken. Tatsächlich können sogar psychische Erkrankungen wie Angstzustände und Depressionen durch Sticken gemildert werden. Eine meditative Wirkung gelingt besonders gut, wenn etwas Einfaches gestickt wird und man Nadel und Garn freien Lauf lassen kann.
Auch eine Studie der Mayo Clinic in Rochester im US-Bundesstaat Minnesota bescheinigt Handarbeit einen positiven Effekt auf die mentale Gesundheit und kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Das Wissenschaftsteam fand heraus, dass Handarbeit den Gedächtnisverlust im Alter mildern und damit sogar Demenz vorbeugen kann. Selbst wenn erst im höheren Alter mit Sticken und Co. begonnen wird, machen sich die positiven Effekte bemerkbar. Es ist also nie zu spät, anzufangen. Doch wieso ist der positive Effekt auf das Gehirn eigentlich so groß? In der Hirnforschung wird vermutet, dass durch die rhythmische Bewegung beider Hände die Nervenbahnen im Gehirn wachsen und sich verbinden. Außerdem werden durchs Sticken, anders als bei anderen Tätigkeiten, beide Gehirnhälften besser miteinander verknüpft.
Manchen Menschen kann die Handarbeit sogar helfen, die Beweglichkeit ihrer Hände und Finger zu verbessern – beispielsweise bei einer schmerzhaften Arthritis. Denn beim Sticken werden die Gelenke bewegt und Muskeln gekräftigt. Andere sehen im Sticken wiederum eine Art der Sucht-Therapie, um zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören oder Gewicht zu verlieren. Sie ignorieren während des Stickens einfach den sonst so dominanten Drang, eine Zigarette rauchen oder etwas essen zu müssen.
Los geht’s: Der richtige Stoff
Wer sich jetzt etwas Gutes tun und mit dem Sticken starten möchte, braucht nicht viel – ein Stück Stoff, etwas Garn, eine Sticknadel und ein Stickrahmen reichen schon aus. Für Anfängerinnen und Anfänger eignen sich auszählbare Stoffe, deren Gewebe eine kästchenartige Struktur hat. Hierzu gehören beispielsweise Leinenstoffe und Schülertuch, deren Struktur etwas gröber ist als bei Baumwollstoffen. Auch auf sogenannten Aida-Stoffen, die sehr regelmäßig gewebt sind und sehr gut sichtbare Löcher haben, gelingen erste Stickereien im Kreuzstich. Wer das Sticken erstmal nur testen und kein Geld ausgeben möchte, kann für die ersten Stickversuche auch einfach nur ein Bettlaken, einen Bettbezug (aus Baumwolle) oder ein Küchenhandtuch nehmen.
Eher ungeeignet sind Strickstoffe wie Jersey, weil sie schwieriger zu besticken sind. Diese Stoffe sind so elastisch, dass sich das Stickmuster schnell zusammenziehen kann. Wer dennoch mit Strickstoffen experimentieren möchte, sollte darauf achten, Faden und Untergrund nie zu straff zu ziehen. Ebenfalls für Neulinge ungeeignet sind Kord, Samt und Fleece, transparente Stoffe sowie glatte und glänzende Stoffe wie Satin.
Das richtige Garn
Ähnlich wie bei Stoffen gibt es auch beim Stickgarn verschiedene Sorten. Es gibt Unterschiede beim Material, den Garnarten und den Stärken. Welcher Faden der richtige ist, hängt vom Stickprojekt ab. Grundsätzlich gilt: Je gröber der Stoff, desto dicker muss auch der Faden sein.
Zum Sticken wird am häufigsten 6-fädiges Stickgarn aus Baumwolle verwendet, auch Sticktwist genannt. Das Besondere an diesem Garn: Es besteht aus sechs einzelnen Fäden, die sich leicht voneinander trennen lassen. Dadurch kann mit dem Garn in verschiedenen Stärken gestickt werden – je nachdem, ob die Stickerei feiner oder gröber werden soll. Außerdem ist 6-fädiges Garn besonders strapazierfähig und pflegeleicht.
Egal welches Garn es am Ende wird – wichtig ist, vom Faden nicht zu lange Stücke zu schneiden, denn beim Ziehen durch den Stoff raut sich der Faden jedes Mal etwas auf. So kann das letzte Stück am Ende schmutzig sein oder im schlimmsten Fall sogar reißen. Deshalb reicht ein höchstens 50 Zentimeter langes Stück Garn zum Sticken vollkommen aus.
Beim Kauf lohnt es sich, etwas mehr auszugeben und Garne in guter Qualität zu kaufen. Diese kosten zwischen 1 und 2 Euro pro Strang und überzeugen mit einer guten Qualität: Die Oberfläche ist glatter, sie verknoten nicht so leicht und das Garn ist licht- und farbecht, was bei günstigen Produkten meist nicht der Fall ist. Für die ersten Stickereien reichen anfangs schon vier bis sechs Farben aus.
Die Sticknadel
Nach Stoff und Garn gehört natürlich auch die Sticknadel zur Grundausstattung. Dabei sollte das Öhr der Nadel groß genug sein, um den Faden gut einzufädeln zu können. Normale Nähnadeln eignen sich zum Sticken nur bedingt, weil das Öhr für das Stickgarn oft zu schmal ist.
Die Nadelspitze kann stumpf oder spitz sein: Stumpfe Nadeln eignen sich gut für Sticktechniken wie Kreuzstich, Gobelin und Bargello, bei denen immer wieder in dieselben Einstichlöcher gestickt wird. So werden die schon gestickten Bereiche nicht zerstochen. Spitze Nadeln eignen sich dagegen für dicke oder feste Stoffe und auch für dickeres Garn. Damit für jedes Projekt die richtige Sticknadel vorhanden ist, sind gemischte Nadelsets eine gute Wahl.
Der Stickrahmen
Wer freihändig noch nicht sticken kann, für den ist ein Stickrahmen genau das Richtige. Der Stoff wird außen eingespannt, damit er sich beim Sticken nicht verzieht und die Stiche gleichmäßig werden. Das Wichtigste dabei: Er muss unbedingt gleichmäßig eingespannt sein. Falls er sich doch verzieht, einfach nochmal ausprobieren. Stickrahmen gibt es in verschiedenen Größen. Er sollte so groß sein, dass das ganze Stickmotiv darauf passt. Bei groben Stoffen wie Aida und Stramin benötigen selbst Anfängerinnen und Anfänger nicht unbedingt einen Stickrahmen.
Andere wichtige Werkzeuge sind eine kleine spitze Schere, eine Stoffschere, ein langes Lineal beziehungsweise ein Maßband.
Nach dem Sticken wird das Meisterwerk geglättet. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder den Stoff feucht machen, glatt streichen und trocknen lassen – das reicht bei Leinen meistens schon aus. Oder die Arbeit auf der Rückseite bügeln.
Buchtipp:
„Stickliebe“,
Anne Mende,
frechverlag GmbH, 2021
ISBN 978-3-7724-6857-5
Beutel mit Wildblumen
Material:
- Sticktwist 6-fädig in Weiß, Hellgrün, Grün und Dunkelgrün
- Stoffbeutel aus Baumwolle in Blau
- Stickrahmen, ø 18 cm
- feine Sticknadel
Das Stickgarn wird, wenn nicht anders angegeben, 3-fädig verwendet.
- Die Blüten der großen Blumen in Weiß mit dem Kettenstich sticken. Anschließend einen Kreis aus Knötchenstichen in der Mitte in Hellgrün arbeiten. Den Blütenkelch bei der oberen Blüte im Plattstich in Hellgrün sticken und die Stängel im Stielstich arbeiten.
- Die Zweige mit den dunklen Blättern jeweils im Stielstich in Grün sticken. Die Blätter anschließend im Plattstich aussticken. Bei den spitzen Blättern innerhalb eines Blatts immer abwechselnd einen Stich links und einen Stich rechts ausführen. Bei den runden Blättern von einer Seite zu anderen arbeiten.
- Den Zweig mit den kleinen weißen Blüten zunächst im Stielstich in Hellgrün vorsticken. Anschließend an den Stielen entlang einzelne Stiche als kleine Blätter positionieren. Zum Schluss die Blumen in Weiß ausarbeiten. Dafür immer fünf einzelne Stiche von der Mitte nach außen sticken.
Kosmetiktäschen
Material:
- Sticktwist 6-fädig in Dunkelgrün
- flaches Täschchen aus Baumwollstoff in Natur, 20 cm x 12 cm
- feine Sticknadel
Das Stickgarn wird, außer an den gestrichelten Linien, in den großen Blüten (siehe Schritt 3) 3-fädig verwendet.
- Die großen Blätter im Rückstich sticken, dazu alle Linien nacharbeiten.
- Für die Schafgarbe die Stiele im Rückstich sticken. Die Blüten mit drei Plattstichen übereinander sticken und zwei bis drei kurze Stiche darüber anordnen. Die Blätter der Schafgarbe im Fliegenstich von oben nach unten sticken.
- Die Umrisse der großen Blüten im Rückstich sticken. Anschließend mit einem Faden die Linien im Inneren der Blüten im Vorstich sticken. Die Blütenmitte mit Knötchenstichen ausfüllen.
- Die langen Blattranken im Fliegenstich von oben nach unten sticken. Anschließend optional Knötchenstiche paarig zwischen die Fliegenstiche setzen.
- Die Stiele der zwei dunklen Blumen im Stielstich vorsticken. Anschließend die Blätter im Plattstich ergänzen und zum Schluss den Blütenkelch und die Blütenblätter ebenfalls im Plattstich sticken. Für die Blütenblätter einen langen Stich in der Mitte und auf jeder Seite einen kürzeren Stich setzen.
- Die Buchstaben des Schriftzugs im Rückstich sticken.
Ovales Wiesen-Blumenbild
Material:
- Sticktwist 6-fädig in Rosa, Dunkelgrün, Grün, Weiß, Naturweiß, Gelb und Dunkelbraun
- Baumwollstoff in Blau, 20 cm x 20 cm
- ovaler Stickrahmen, 18 cm hoch
- feine Sticknadel
- Für die Blumen zuerst alle Stängel 3-fädig in Dunkelgrün (Fb 269) im Stielstich sticken. Die Blätter im Plattstich ebenfalls 3-fädig arbeiten, dabei zwischen den Blättern die beiden Grüntönen abwechseln.
- Die Blüten 6-fädig im Knötchenstich in Rosatönen bzw. Weiß und Naturweiß sticken. Damit die Blüten natürlicher aussehen, den dunkleren Farbton mehr auf der linken Seite platzieren und den hellen auf der rechten Seite, dabei jedoch in der Mitte keine scharfe Trennlinie bilden, sondern beide Farben mischen.
- Die Bienen abwechselnd in Gelb und Dunkelbraun mit drei Fäden arbeiten. Dazu jeweils zwei bis drei Plattstiche pro Farbe nebeneinander sticken. Für die Flügel zwei kleine Kettenstiche mit einem Faden in Naturweiß platzieren.
Justine Holzwarth