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Toxic Positivity: Warum #goodvibesonly keine gute Idee ist

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Toxic Positivity bezeichnet das Bestreben, jedes negative Gefühl durch etwas Positives ausgleichen zu wollen. Das wirkt im ersten Moment vielleicht hilfreich, kann jedoch Schaden anrichten. Die Psychologin Doris Röschmann erklärt, welche Probleme zwanghafte Positivität mit sich bringt und wie die Balance zwischen authentischem Gefühlserleben und positivem Mindset gelingt.

Doris Röschmann, Psychologin

Bisher galt ein positives Mindset als erstrebenswert. Nun soll zu viel Positivität nicht gut sein. Was ist denn der Unterschied?

Optimismus ist eine innere Einstellung, eine Grundhaltung, mit der wir dem Leben begegnen. Optimismus verhindert aber nicht, dass ich betrübt oder enttäuscht bin, mich ärgere, zweifle, Kränkung oder Zurückweisung empfinden kann. Dennoch gibt es tief in mir die Haltung, dass das vorbeigeht und beim nächsten Mal besser läuft. Das ist etwas, auf das ich immer wieder zurückgreifen kann und was im Alltag als echte Kraft wirksam wird.

Und die zwanghafte Positivität?

Der Zwang, gleich wieder zu lächeln, in allem etwas Gutes zu sehen und die Enttäuschung, Wut oder Kränkung nicht fühlen zu können, sorgt dafür, dass man Gefühle aktiv unterdrückt. Ich spreche in diesem Zusammenhang von ungefühlten Gefühlen.

Was meinen Sie damit genau?

Gefühle sind Botschafter für Bedürfnisse. Negative Gefühle wie Ärger, Trauer, Wut, Scham und Frustration wollen darauf aufmerksam machen, dass das psychische Gleichgewicht gestört ist. Ärger empfinden wir zum Beispiel, wenn wir uns nicht wahr- oder ernstgenommen fühlen, wir fühlen uns beschämt, wenn wir ausgelacht werden. Wenn man das alles übergeht und nicht wahrnehmen will, dann kann die Psyche eine Situation nicht wirklich verdauen. Gefühle wollen wahrgenommen, benannt und korrekt eingeordnet werden. Nur so können wir aus einer Situation lernen und unsere Schlüsse ziehen. Wenn ich nicht daraus lerne, kann ich nicht zu einer echten positiven Kraft zurückfinden. Mir zum Beispiel einen neuen Arbeitsplatz suchen oder eine Beziehung beenden, die mir nicht guttut. Dadurch kann ich auch verhindern, unbewusst immer wieder in dieselben Situationen zu geraten.

Welche Probleme entstehen noch, wenn wir negative Gefühle durch positive überlagern?

Wenn ich Empfindungen langfristig unterdrücke, sorgt das für eine Verflachung der Gefühle – sowohl der positiven als auch der negativen. Man braucht immer stärkere äußere Anreize, um zum Beispiel Freude zu spüren. Das führt zu einem sehr veräußerlichten Leben. Wenn ich mein Leben darauf ausrichte, was ich tue und erschaffe, kommt diese Freude von innen und macht mich unabhängig.

Zudem sind die unterdrückten Gefühle nicht einfach weg. Sie kommen häufig nachts wieder hoch, wenn die Kontrollmechanismen nicht mehr so funktionieren. Das kann für Schlafstörungen und das sogenannte Gedankenkarussell sorgen. Weiterhin gibt es einen Einfluss auf das Immunsystem. Menschen, die ständig Ärger unterdrücken, werden im Urlaub häufig krank, wenn Entspannung einsetzt.

Wer nicht authentisch über sein Inneres spricht, kann keine tiefe Bindung mit jemandem eingehen. Beziehungen bleiben oberflächlich. Betroffene nehmen das selbst jedoch gar nicht so wahr, denn das ist ein schleichender Prozess.

Langfristige Problematiken sind eine depressive Grundstimmung, das Gefühl, am eigenen Leben vorbei zu leben sowie psychosomatische Störungen.

Wie kann man die Balance zwischen Positivität und authentischem Gefühlserleben finden?

Positivität ist dann gut, wenn es um Geschehnisse außerhalb der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten geht. Wenn ich zum Beispiel im Stau stehe oder die Bahn Verspätung hat. Wobei es nicht darum geht, sich das schönzureden, sich aber eben auch nicht zu ärgern.

In zwischenmenschlichen Situationen, wenn mich jemand zum Beispiel schlecht behandelt, muss ich das auswerten und überlegen: Wie gehe ich beim nächsten Mal vor? Da hat die Psyche die Funktion, sich zu schützen. Und nicht zu sagen „es liegt an mir oder ich muss etwas Positives darin sehen“. Wenn ich die Unterscheidung nicht mache, dann packe ich mein Leben nicht beim Schopfe, sondern bin Situationen immer wieder ausgeliefert.

Also nicht „Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten und weitermachen“?

Wichtig ist, die Gefühle zuzulassen und ernst zu nehmen. Wut beispielsweise wahrzunehmen ist eine sehr vitale Energie. Wenn sie produktiv eingesetzt wird, trägt das dazu bei, das Leben aktiv zu gestalten. Die innere Konfrontation mit den unangenehmen Gefühlen ist notwendig, um ihre Botschaft zu entschlüsseln und daraus Handlungsfähigkeit zu gewinnen.

Wird der Druck durch Social Media und Hashtags wie #goodvibesonly verstärkt?

Ja, auf jeden Fall. Inhalte, die früher in Hochglanz-Magazinen platziert wurden, werden bei Social Media als Alltag inszeniert. Der Zugang ist viel einfacher und soziale Medien allgegenwertig. Wir vergleichen uns automatisch mit einem nicht zu erreichenden Maßstab. Mit dem Ergebnis, dass wir uns als nicht schön, nicht erfolgreich oder nicht liebenswert fühlen. Vergleichen tut nicht gut, weil mich jeder Vergleich von mir selbst wegführt. Ich empfehle daher, nur Accounts zu folgen, die einen inspirieren, berühren oder weiterhelfen.

Was kann man tun, um nicht in die Toxic Positivity-Falle zu tappen?

Nice Sache: Ein starkes Selbstwertgefühl

Es sind turbulente Zeiten – vor allem für junge Menschen. Die Studie „Jugendalltag 2020” hat ergeben, dass die Hälfte aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen Angst vor der Zukunft hat.* Verständlich, schließlich haben die letzten eineinhalb Jahre ihre Pläne ganz schön durcheinandergeworfen.

Zum Glück gibt es Initiativen, die junge Menschen schon frühzeitig auf die kleinen und großen Herausforderungen des Lebens vorbereiten. Ein gutes Beispiel: die niceones der DAK-Gesundheit. Mit voller Influencer-Power pushen sie ein gesundes Miteinander und laden alle dazu ein, sich gegen negative Vibes im Netz und im täglichen Zusammenleben starkzumachen. Weitere Informationen gibt es auf dem Instagram-Kanal @niceones.de oder unter www.niceones.de.

Und weil gegenseitiger Support wichtig ist, unterstützt die DAK-Gesundheit mit dem Onlineprogramm Nico dabei, die eigenen Stärken zu erkennen – damit Kinder und Jugendliche selbstbewusster durchs Leben gehen. Denn ein stabiles Mindset ist ein guter Eigenschutz gegen Mobbing, Shaming, Stress und Onlinesucht. Und das Beste daran? Wer sich selbst starkmacht, kann sich auch für andere starkmachen!

Janina Fortmann

 

 

 

*Andresen et al. (2020) „Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen – Jugendalltag 2020.” Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim.