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Ernährung & Rezepte

Olivenöl und „Unkraut“ fürs Herz

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Was macht die mediterrane Küche so gesund? Wie kann man davon ganz einfach profitieren? Mit alldem kennt sich Dr. Enise Lauterbach sehr gut aus. Die Kardiologin liebt insbesondere Rezepte aus Kreta, wo die Wurzeln ihrer Familie liegen.

Welche Rolle spielt es für unsere Herzgesundheit, was wir essen?

Eine sehr große! Ernährungsbedingte Krankheiten wie Fettleibigkeit und Zuckererkrankung nehmen stetig zu und haben einen fatalen Einfluss auch auf die Herzgesundheit. Leider ist vielen Menschen der hohe Stellenwert ihrer Essgewohnheiten gar nicht bewusst. Und wenn, kaufen sie lieber Ernährungsergänzungspräparate, die gar nichts bringen. Über das Thema zu informieren und schon Kindern entsprechende Kompetenzen zu vermitteln, ist deshalb unendlich wichtig.

Sie haben dazu ein „medizinisches Kochbuch“ geschrieben (siehe Kasten), mit Rezepten Ihrer von Kreta stammenden türkischen Familie. Bei türkischer Küche denken sicher die meisten hierzulande an Döner, bei griechischer an Gyros …

Eigentlich schade, beide bieten so viel mehr. Die originale kretische Küche ist sehr schlicht, sehr grün und tatsächlich der Ursprung der Mittelmeerküche. Man nutzt frische Zutaten aus der Region wie Obst, Gemüse, Olivenöl, Hülsenfrüchte, Nüsse, wilde Kräuter und Fisch und achtet bei rotem Fleisch auf moderaten Konsum. Im Grunde ist es „Armenkost“, die aber trotzdem sehr, sehr lecker sein kann und gesund ist.

Wie wirken diese Lebensmittel aus medizinischer Sicht?

In Studien mit Herzinfarkt-Patientinnen und -Patienten verringerte sich das Rückfallrisiko nach vier Jahren mit mediterraner Ernährung um 30 Prozent. Es gibt viele Hinweise darauf, dass diese Art der Ernährung das Cholesterin und den Blutdruck senkt, die Blutgefäße und das Immunsystem stärkt, den Blutzucker normalisiert und Entzündungen hemmt.

Dr. Enise Lauterbach,

Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, engagiert sich für die digitale Medizin. Auch das Thema Ernährung liegt ihr am Herzen: Mit ihrer Schwester, Moderatorin Fatma Mittler-Solak („ARD Buffet“), hat sie ein Buch veröffentlicht: „Kala? Kala! Unsere kretische Kardio-Küche“, mit vielen Rezepten, kompaktem Gesundheitswissen und Urlaubsflair. Dr. Lauterbach ist Jurymitglied beim DAK-Wettbewerb „Gesichter für ein gesundes Miteinander“.

In Ihren Rezepten fließt viel Olivenöl …

Das kaltgepresste extra native Olivenöl, also naturbelassen und von hoher Qualität, ist mit seinen wertvollen ungesättigten Fettsäuren und antioxidativen Mikronährstoffen das A und O der mediterranen Gesundheitsküche. Da Oliven im Mittelmeerraum bestens gedeihen, brauchen die Menschen dort keine andere Fettquelle. Das allerteuerste Öl muss es dazu gar nicht sein. Übrigens: Extra natives Olivenöl kann man guten Gewissens auch zum Braten nutzen.

Außerdem berichten Sie in Ihrem Buch davon, wie sich Ihre Mutter in Deutschland begeistert auf die Suche nach Wildkräutern gemacht hat, um sich „ihre Heimat in ihrer Küche herbeizukochen“.

Grünzeug vom Feldrand, also Unkraut, das sicher auch Kühen und Ziegen schmeckt, war für uns als Kinder völlig normal. Ich entdecke diese Pflanzen bis heute überall, erst kürzlich im Urlaub in Rom wilde Malven. Mit den darin steckenden sekundären Pflanzenstoffen tut man sich viel Gutes. Wer nicht selbst sammeln möchte oder kann, findet die Kräuter in türkischen oder italienischen Supermärkten. Was immer geht: simpler Rucola- oder auch Löwenzahnsalat – leicht zu beschaffen und sehr gesund.

Wie stehen Sie zu Weißbrot?

Weißbrot wird aus raffiniertem Mehl hergestellt, bei dem der Großteil der Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe entfernt wurden. Das Resultat: Ein Lebensmittel mit einem hohen glykämischen Index, das den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen lassen kann, deshalb ist es in Verruf geraten. Wenn man es gelegentlich als Beilage genießt, besteht aber überhaupt kein Grund zur Sorge. Ein Stück noch warmes, duftendes Brot in Öl tunken – das liebe ich sehr!

Verraten Sie uns noch andere Leibgerichte?

Mein Favorit ist lauwarmer Zucchinisalat mit Olivenöl und Zitrone. Und besonders in der Schwangerschaft war ich ganz verrückt nach Spargel, weißem und grünem.

Wie kann eine Ernährungsumstellung gelingen – auch wenn Zeitmangel, der „innere Schweinehund“ und alte Gewohnheiten es uns schwer machen?

Veränderungen brauchen Zeit, eine Lebensstiländerung erfordert Geduld. Vielleicht probiert man fürs Erste einen simplen Tomatensalat mit Olivenöl oder peppt Bratkartoffeln mit Olivenöl und Kräutern auf, zum Beispiel mit Oregano. Sehr „deutsches“, vielen vertrautes Gemüse wie Spinat oder Fenchel kann ruhig öfter zum Einsatz kommen, gerne auch grüner Spargel. Nehmen Sie sich nach der Arbeit bewusst Zeit für die Essenszubereitung, vielleicht sogar gemeinsam, das entstresst. Auch die Kinder können mitschnippeln. Mein heute 15-jähriger Sohn hat in der Coronazeit so richtig kreativ mit dem Kochen angefangen.

Was können wir uns neben der Ernährung noch von den langlebigen Menschen aus Kreta abschauen?

Zum traditionellen Alltag dort gehören viel Bewegung und die obligatorische Mittagsruhe. Unser moderner Lebensstil mit Bürojobs, Pendeln und ungesundem Kantinenessen steht dem meist entgegen. Trotzdem kann man versuchen, sein Leben etwas umzubauen. Schon kleine Schritte können viel bewirken. Stressabbau ist wichtig. Lassen Sie es langsamer angehen, meiden Sie ständiges Multitasking. Nicht zuletzt spielen auch soziale Bindungen in den südlichen Ländern eine große Rolle, ein gesundes Miteinander mit der Familie, in der Nachbarschaft, dem Freundeskreis: Was man hat – auch wenn es nicht viel ist –, wird geteilt.

Interview: Annemarie Lüning

 

Foto Dr. Enise Lauterbach: © Enno Kapitza