Treppe statt Aufzug – das ist gesund, aber nicht bequem. Mit dem Nudging-Ansatz wird ein gesunder Lebensstil leichter.
Sie sitzen in der Kantine und da gibt es diesen Rinderbraten mit Rotkohl und Kartoffelgratin. Obwohl Sie den Weihnachtspfunden eigentlich den Kampf ansagen wollten, greifen Sie zum Braten und nicht zum Gemüseauflauf. Schon der Schriftsteller Oscar Wilde stellte fest: „Der Mensch ist vielerlei. Aber vernünftig ist er nicht.“ Oder anders gewendet: Der Mensch handelt trotz besseren Wissens oft nicht rational und ist leider bequem.
Gerade jetzt, nach dem Jahreswechsel, ist die Zeit der guten Vorsätze gekommen. Laut einer von der DAK-Gesundheit in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage möchten die Deutschen vor allem mehr Stress abbauen (62 Prozent), mehr Sport treiben (57 Prozent) und sich gesünder ernähren (49 Prozent). Jeder Neunte möchte den Jahreswechsel nutzen, um mit dem Rauchen aufzuhören. Spätestens nach ein paar Wochen kämpfen wir mit dem inneren Schweinehund und merken, dass der Mensch häufig nach dem Lustprinzip und sogar zum eigenen Nachteil handelt.
Der Nudging-Ansatz
Viele Unternehmen sind auf der Suche nach Möglichkeiten, die Mitarbeitergesundheit mit Programmen zu fördern. Wie aber können Beschäftigte zu einem gesünderen Lebensstil motiviert werden? Ein wissenschaftlicher Ansatz dazu stammt von Richard H. Thaler (Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften) und seinem Kollegen, dem Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein. Richard H. Thaler gilt als einer der weltweit führenden Verhaltensökonomen und beriet unter anderem den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Die beiden Autoren haben 2008 das Buch „Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ geschrieben. Darin schildern der Verhaltensökonom und der Rechtswissenschaftler, wie man ein gewünschtes Verhalten fördert. Freunde des Nudging-Konzepts (to nudge = sanft anstupsen) sprechen von einem „libertären Paternalismus“, wenn der Staat mit Fotos auf Zigarettenschachteln vor dem Rauchen warnen will. Sanfte Nudging-Beispiele wären:
- der bunte Salat, der in der Kantine bewusst vor der Currywurst platziert wird
- ein Spiegel hinter dem Salatbuffet
- aufgeklebte Fußabdrücke am Boden, die zur Treppe statt zum Fahrstuhl deuten
- motivierende Aufkleber auf Treppenstufen
Attraktiv und einfach
„Bei guten Nudges geht es darum, gesundes Verhalten attraktiver und einfacher zu machen, ohne dass Beschäftigte in ihren Entscheidungen eingeschränkt werden. Im Idealfall sind Nudges transparent“, sagt Mathias Krisam. Er ist Mediziner und betreibt die Beratungsfirma „läuft“ zum Thema Nudging.
Wird Obst in der Kantine beispielsweise auf Augenhöhe und ansprechend geschnitten angeboten, während süße Desserts in Streckhöhe stehen, so lässt sich der Verbrauch von Obst Studien zufolge um bis zu 29 Prozent steigern. Auch kleinere Teller in der Kantine und Süßes nur in Miniportionen sind Stupser zu gesünderem Verhalten.
Die Bundeswehr hat in der Truppenkantine des Fliegerhorsts Kaufbeuren im Rahmen einer Studie unter anderem grüne Daumen-hoch-Aufkleber auf Wasserspendern platziert. Zwar gab es den Hahn mit Cola weiterhin, aber das gesunde Signal war da und ließ den Wasserverbrauch sofort um 6,2 Prozent steigen. In einer Mensa bewirkte ein Schild neben der Cola zum zeitlichen Aufwand ihres Abtrainierens eine Umorientierung bei 6,9 Prozent der Studierenden. Nudging-Erkenntnisse zeigen, dass zusätzliche Informationen gesundes Verhalten fördern, so auch die Angabe von Kalorien bei Gerichten. In manchen Betriebskantinen kommt ein Ampel-System zum Einsatz, um eine „gesunde Wahl“ anzuregen.
Freie Wahl bleibt
Experten betonen, dass die Entscheidungsfreiheit immer bestehen müsse und keine Verbote oder Sanktionen erfolgen dürfen. Kritiker sehen zu viel lenkende Bevormundung im Nudging-Konzept. Tatsächlich wirkt ein gelungener Nudge eher wie eine Information. Der Beschäftigte hat dabei stets die Wahl. Er kann sich also nach wie vor auch für die „ungesündere Variante“ entscheiden. Doch wie sieht die Ermunterung zu einem gesünderen Lebensstil in Unternehmen in der Realität aus?
„Besonders gut funktionieren Nudges als Kombination aus einer motivierenden Information mit einem attraktiven Layout, etwa als Postkarte mit dem Spruch „A Treppe a day keeps the doctor away“, so die Erfahrung von Mediziner Mathias Krisam. In einer Studie klebte er motivierende Sprüche auf Treppen – etwa „Die Hälfte ist geschafft, du noch lange nicht.“ Der Nudge ließ die Zahl der Treppenbenutzer um etwa die Hälfte steigen, die Treppe trat plötzlich als attraktive Wahl ins Bewusstsein. „Warum also das Treppenhaus nicht mit Urlaubsbildern der Mitarbeiter attraktiv gestalten oder das Treppensteigen in eine Challenge einbauen: Wer schafft die meisten Stufen?“, schlägt Krisam vor.
Kulturprägend durch Vorbild
Der iga.Report 38 schildert auch das Kreieren einer positiven sozialen Norm als Nudge. Entscheidend ist hier das motivierende Vorbild durch Führungskräfte, die selbst die Treppe wählen und gesundes Verhalten vorleben. Es ist kulturprägend, wenn man die im Jogginganzug bekleidete Führungskraft im Flur trifft, die gerade von der Laufgruppe kommt.
„Bei uns gründeten sich Laufgruppen, die weiterhin aktiv sind“, sagt Junior-HR-Managerin Karolin Bringer von der New Work SE (ehemals XING SE). Im Unternehmen joggten viele mittags um die nahe Alster, darunter auch Führungskräfte, „einige trifft man mittags dann in Joggingkleidung im Fahrstuhl.“ Der digitale HR-Newsletter erinnere zudem regelmäßig an Gesundheitsthemen wie Achtsamkeit und Stressmanagement. Im Aufzug animierten bereits Poster dazu, öfter die Treppe zu nutzen.
Sogar ein Spiegel wirkt
Trotz erster Versuche ist das Nudging-Konzept in Deutschland noch eher unbekannt. Ein Blick in die USA, wo Nudging in Betrieben verbreiteter ist, lässt vermuten: Es entsteht auch bei uns ein Bewusstsein dafür, dass die Arbeitsumgebung es dem Beschäftigten leicht machen kann, sich für gesunde Optionen zu entscheiden. Übrigens entdeckten Thaler und Sunstein ein wirklich witziges Detail: Wurde hinter einer Essensausgabe ein Spiegel angebracht, griffen Beschäftigte lieber zu Obst als zum Donut – offenbar gefielen sie sich bei der gesunden Wahl besser.
Dr. Stefanie Maeck